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Erzaehl mir ein Geheimnis

Erzaehl mir ein Geheimnis

Titel: Erzaehl mir ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Cupala
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Laken zusammengerafft und weggebracht. Ich war nackt, bis auf ein kleines Handtuch, das mir die Schwester zugeworfen hatte. Ein zweites blutgetränktes Handtuch lag zusammengeknüllt auf dem Boden.
    »Warten Sie«, rief ich ihr weinend nach. »Was ist los mit mir? Was passiert mit Lexi?«
    Sie blieb einen Moment mit vollen Händen und weichem Gesichtsausdruck stehen. »Ich versuche dir die Ärztin so schnell wie möglich zu schicken. Sie kann dich über deinen Zustand aufklären. Jetzt musst du dich ausruhen. Wir tun alles, was wir können, um es zu retten.«
    Um es zu retten . Die Worte bohrten sich in mein Bewusstsein. Aber ich konnte nichts sagen, weil mein wahres Ich – nicht das Ich, das halb nackt in der Notaufnahme lag, angeschlossen an sechs Monitore und einen Beutel Magnesium-weiß-der-Geier-was, sondern das Ich aus meinem Kopf und meinem Herzen – sich aus meinem Körper gelöst hatte und im Raum schwebte, als ob ich mich selbst in einem der Theaterstücke meiner Mutter beobachten würde. Auf der Bühne hätte ich jetzt geschrien. Zuerst ein Wimmern, dann ein Heulen und dann ein Schreien, das jeden Arzt in diesem Gebäude an mein Bett gebracht hätte, um es zu retten. Sie hätten alles stehen und liegen lassen, um ihr Leben zu retten.
    Aber das hier war kein Theaterstück. Niemand beachtete mich, ich hatte kaum die Kraft, mich mit dem Handtuch zu bedecken. Dann schob jemand etwas herein, das wie ein uraltes Ultraschallgerät aussah und mit einem Monitor verbunden war. Ich sah kaum sein Gesicht, ich spürte nur, wie er das Gel auf meinen Bauch spritzte und das verschwommene Bild auf dem Monitor betrachtete. Als er das Gerät wieder hinausrollte, hatte ich keine Stimme, um ihn aufzuhalten.
    Ich hatte auch keine Kraft mehr, die neuen Tränen zu unterdrücken, die mir über das Gesicht liefen. Ich versuchte, mich aufzurichten, jemanden zu rufen, als ein Sog aus Schwindel mich hinabzog. Ich schloss die Augen, damit die Welt aufhörte, sich zu drehen.

35
    Ein Pieksen in mein Hinterteil weckte mich, holte mich aus den Tunneln und Windungen meines Geistes. Es war dunkel im Zimmer, wie in einem warmen Albtraum. Ich hörte jemanden sagen: »Dreiuhrzwanzig. Noch eine Dosis Beta-Metha… was-auch-immer in zwölf Stuuundeeen …« Und das Zimmer drehte sich und ich fiel zurück in eine Spirale aus Raum und Zeit, die meine Lungen mit Flüssigkeit und meinen Mund mit unerträglichem Durst füllte.
    »Wasser«, murmelte ich und fragte mich, warum ich mir den Tunnel mit der Wüste statt den mit der Flut ausgesucht hatte.
    Kamran war da gewesen, jetzt nicht mehr. Weiter unten in diesem dunklen Tunnel wartete Lexi, eine Miniaturausgabe meiner Schwester mit vorwurfsvollen Augen. Ich hatte ihren Vater weggeschickt. Würde sie mich dafür hassen? Aber wenigstens war sie noch am Leben. In einem anderen Tunnel, durchsichtig wie Glas, sah ich ihren kalten Körper in Xandas Armen liegen.
    Durch den dichten Nebel meines Bewusstseins spürte ich die wachsende Anspannung meines Körpers, langsam, verschwommen, wie das letzte Mal, als ich meine Mutter gesehen hatte. Ich hörte ihre Stimme widerhallen. Es ist besser so.
    »Ich will dich hier nicht haben«, sagte ich und sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Dann war Nik da, oder war es Shelley? Sie verbanden und trennten sich, während sie einen kleinen weißen Vogel in den Händen hielten.
    Die Dunkelheit löste sich auf und ich nahm Stimmen und trübes Licht wahr.
    Vorzeitige Plazentaablösung , flüsterten sie. Siebenundzwanzig Wochen. Zu früh. Magnesiumsulfat, auf Lungenflüssigkeit achten. Hat immer noch Wehen. Blut. Die Stimmen wurden von gleichmäßigem, mechanischem Dröhnen und einem beharrlichen Biep, biep, biep, unterstrichen.
    »Mach, dass es aufhört«, flüsterte ich, aber das Biep tönte weiter. Noch ein Zwicken, ein Stich, und ich fiel erneut in die Dunkelheit. Ich verlor das Gefühl für Raum und Zeit, nur der fürchterliche Durst begleitete mich durch meine Träume. Die Flut in meinen Lungen, die Wellen aus Schmerz und der säuerliche Geschmack in meinem Mund wollten einfach nicht zurückweichen.
    Ich wusste, dass ich wieder träumte. Denn Xanda war wieder da und hielt Lexi in ihren Armen. Sie lächelten, als ob sie alte Freunde wären. Und die dunklen Tunnel waren wieder da, in denen ich mich schon so lange aufgehalten hatte. Sie wurden mit kaltem, frischem Wasser geflutet. Das Wasser floss über unsere Füße und versickerte dann in verborgenen

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