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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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    Franz Kafka: Erzählungen

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    Sessel zurückgelassen hatte, holte mit der Linken eine große
    Zeitung vom Tisch und machte sich unter Füßestampfen dar-
    an, Gregor durch Schwenken des Stockes und der Zeitung in
    sein Zimmer zurückzutreiben. Kein Bitten Gregors half, kein
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    Bitten wurde auch verstanden, er mochte den Kopf noch so
    demütig drehen, der Vater stampfte nur stärker mit den Fü-
    ßen.
    Drüben hatte die Mutter trotz des kühlen Wetters ein Fens-
    ter aufgerissen, und hinausgelehnt drückte sie ihr Gesicht weit
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    außerhalb des Fensters in ihre Hände. Zwischen Gasse und
    Treppenhaus entstand eine starke Zugluft, die Fenstervorhän-
    ge flogen auf, die Zeitungen auf dem Tische rauschten, einzel-
    ne Blätter wehten über den Boden hin. Unerbittlich drängte der
    Vater und stieß Zischlaute aus, wie ein Wilder. Nun hatte aber
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    Gregor noch gar keine Übung im Rückwärtsgehen, es ging
    wirklich sehr langsam. Wenn sich Gregor nur hätte umdrehen
    dürfen, er wäre gleich in seinem Zimmer gewesen, aber er
    fürchtete sich, den Vater durch die zeitraubende Umdrehung
    ungeduldig zu machen, und jeden Augenblick drohte ihm doch
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    von dem Stock in des Vaters Hand der tödliche Schlag auf den
    Rücken oder auf den Kopf. Endlich aber blieb Gregor doch
    nichts anderes übrig, denn er merkte mit Entsetzen, daß er im
    Rückwärtsgehen nicht einmal die Richtung einzuhalten
    verstand; und so begann er, unter unaufhörlichen ängstlichen
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    Seitenblicken nach dem Vater, sich nach Möglichkeit rasch, in
    Wirklichkeit aber doch nur sehr langsam umzudrehen. Viel-
    leicht merkte der Vater seinen guten Willen, denn er störte ihn
    hierbei nicht, sondern dirigierte sogar hie und da die Drehbe-
    wegung von der Ferne mit der Spitze seines Stockes.
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    Wenn nur nicht dieses unerträgliche Zischen des Vaters gewe-
    sen wäre! Gregor verlor darüber ganz den Kopf. Er war schon
    fast ganz umgedreht, als er sich, immer auf dieses Zischen
    horchend, sogar irrte und sich wieder ein Stück zurückdrehte.
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    Als er aber endlich glücklich mit dem Kopf vor der Türöffnung
    war, zeigte es sich, daß sein Körper zu breit war, um ohne
    weiteres durchzukommen. Dem Vater fiel es natürlich in seiner
    gegenwärtigen Verfassung auch nicht entfernt ein, etwa den
    anderen Türflügel zu öffnen, um für Gregor einen genügenden
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    Durchgang zu schaffen. Seine fixe Idee war bloß, daß Gregor
    so rasch als möglich in sein Zimmer müsse. Niemals hätte er
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    Franz Kafka: Erzählungen

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    auch die umständlichen Vorbereitungen gestattet, die Gregor
    brauchte, um sich aufzurichten und vielleicht auf diese Weise
    durch die Tür zu kommen. Vielmehr trieb er, als gäbe es kein
    Hindernis, Gregor jetzt unter besonderem Lärm vorwärts; es
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    klang schon hinter Gregor gar nicht mehr wie die Stimme bloß
    eines einzigen Vaters; nun gab es wirklich keinen Spaß mehr,
    und Gregor drängte sich - geschehe was wolle - in die Tür. Die
    eine Seite seines Körpers hob sich, er lag schief in der Türöff-
    nung, seine eine Flanke war ganz wundgerieben, an der wei-
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    ßen Tür blieben häßliche Flecken, bald steckte er fest und
    hätte sich allein nicht mehr rühren können, die Beinchen auf
    der einen Seite hingen zitternd oben in der Luft, die auf der
    anderen waren schmerzhaft zu Boden gedrückt - da gab ihm
    der Vater von hinten einen jetzt wahrhaftig erlösenden starken
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    Stoß, und er flog, heftig blutend, weit in sein Zimmer hinein.
    Die Tür wurde noch mit dem Stock zugeschlagen, dann war es
    endlich still.
    Erst in der Abenddämmerung erwachte Gregor aus seinem
    schweren ohnmachtsähnlichen Schlaf. Er wäre gewiß nicht viel
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    später auch ohne Störung erwacht, denn er fühlte sich genü-
    gend ausgeruht und ausgeschlafen, doch schien es ihm, als
    hätte ihn ein flüchtiger Schritt und ein vorsichtiges Schließen
    der zum Vorzimmer führenden Tür geweckt. Der Schein der
    elektrischen Straßenlampen lag bleich hier und da auf der
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    Zimmerdecke und auf den höheren Teilen der Möbel, aber
    unten bei Gregor war es finster. Langsam schob er sich, noch
    ungeschickt mit seinen Fühlern tastend, die er erst jetzt schät-
    zen lernte, zur Türe hin, um nachzusehen, was dort geschehen
    war. Seine linke Seite schien eine einzige lange, unangenehm
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    spannende Narbe und

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