Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
reden hören?" "Das war eine Tierstimme", sagte der Prokurist, auffallend leise gegenüber 35
    dem Schreien der Mutter.
    "Anna! Anna!" rief der Vater durch das Vorzimmer in die Küche und klatschte in die Hände, "sofort einen Schlosser
    holen!" Und schon liefen die zwei Mädchen mit rauschenden
    Röcken durch das Vorzimmer - wie hatte sich die Schwester
    40
    denn so schnell angezogen? - und rissen die Wohnungstüre
    auf. Man hörte gar nicht die Türe zuschlagen; sie hatten sie
    _________________________________________________________________

    Franz Kafka: Erzählungen

    - 11 -
    wohl offen gelassen, wie es in Wohnungen zu sein pflegt, in
    denen ein großes Unglück geschehen ist.
    Gregor war aber viel ruhiger geworden. Man verstand zwar
    also seine Worte nicht mehr, trotzdem sie ihm genug klar,
    5
    klarer als früher, vorgekommen waren, vielleicht infolge der
    Gewöhnung des Ohres. Aber immerhin glaubte man nun schon
    daran, daß es mit ihm nicht ganz in Ordnung war, und war
    bereit, ihm zu helfen. Die Zuversicht und Sicherheit, mit wel-
    chen die ersten Anordnungen getroffen worden waren, taten
    10
    ihm wohl. Er fühlte sich wieder einbezogen in den menschli-
    chen Kreis und erhoffte von beiden, vom Arzt und vom Schlos-
    ser, ohne sie eigentlich genau zu scheiden, großartige und
    überraschende Leistungen. Um für die sich nähernden ent-
    scheidenden Besprechungen eine möglichst klare Stimme zu
    15
    bekommen, hustete er ein wenig ab, allerdings bemüht, dies
    ganz gedämpft zu tun, da möglicherweise auch schon dieses
    Geräusch anders als menschlicher Husten klang, was er selbst
    zu entscheiden sich nicht mehr getraute. Im Nebenzimmer war
    es inzwischen ganz still geworden. Vielleicht saßen die Eltern
    20
    mit dem Prokuristen beim Tisch und tuschelten, vielleicht lehn-
    ten alle an der Türe und horchten.
    Gregor schob sich langsam mit dem Sessel zur Tür hin, ließ ihn
    dort los, warf sich gegen die Tür, hielt sich an ihr aufrecht - die 25
    Ballen seiner Beinchen hatten ein wenig Klebstoff - und ruhte
    sich dort einen Augenblick lang von der Anstrengung aus.
    Dann aber machte er sich daran, mit dem Mund den Schlüssel
    im Schloß umzudrehen. Es schien leider, daß er keine eigentli-
    chen Zähne hatte, - womit sollte er gleich den Schlüssel fas-
    30
    sen? - aber dafür waren die Kiefer freilich sehr stark; mit ihrer Hilfe brachte er auch wirklich den Schlüssel in Bewegung und
    achtete nicht darauf, daß er sich zweifellos irgendeinen Scha-
    den zufügte, denn eine braune Flüssigkeit kam ihm aus dem
    Mund, floß über den Schlüssel und tropfte auf den Boden.
    35
    "Hören Sie nur", sagte der Prokurist im Nebenzimmer, "er dreht den Schlüssel um." Das war für Gregor eine große Auf-munterung; aber alle hätten ihm zurufen sollen, auch der
    Vater und die Mutter: "Frisch, Gregor", hätten sie rufen sollen,
    "immer nur heran, fest an das Schloß heran!" Und in der Vor-40
    stellung, daß alle seine Bemühungen mit Spannung verfolgten,
    verbiß er sich mit allem, was er an Kraft aufbringen konnte,
    _________________________________________________________________

    Franz Kafka: Erzählungen

    - 12 -
    besinnungslos in den Schlüssel. Je nach dem Fortschreiten der
    Drehung des Schlüssels umtanzte er das Schloß; hielt sich
    jetzt nur noch mit dem Munde aufrecht, und je nach Bedarf
    hing er sich an den Schlüssel oder drückte ihn dann wieder
    5
    nieder mit der ganzen Last seines Körpers. Der hellere Klang
    des endlich zurückschnappenden Schlosses erweckte Gregor
    förmlich. Aufatmend sagte er sich: "Ich habe also den Schlosser nicht gebraucht", und legte den Kopf auf die Klinke, um die Türe gänzlich zu öffnen.
    10
    Da er die Türe auf diese Weise öffnen mußte, war sie ei-
    gentlich schon recht weit geöffnet, und er selbst noch nicht zu
    sehen. Er mußte sich erst langsam um den einen Türflügel
    herumdrehen, und zwar sehr vorsichtig, wenn er nicht gerade
    vor dem Eintritt ins Zimmer plump auf den Rücken fallen woll-
    15
    te. Er war noch mit jener schwierigen Bewegung beschäftigt
    und hatte nicht Zeit, auf anderes zu achten, da hörte er schon
    den Prokuristen ein lautes "Oh!" ausstoßen - es klang, wie wenn der Wind saust und nun sah er ihn auch, wie er, der der
    Nächste an der Türe war, die Hand gegen den offenen Mund
    20
    drückte und langsam zurückwich, als vertreibe ihn eine un-
    sichtbare, gleichmäßig fortwirkende Kraft. Die Mutter - sie
    stand hier trotz der Anwesenheit des Prokuristen

Weitere Kostenlose Bücher