Erzählungen
hatte eine Zeitung hervorge-
zogen, den zwei anderen je ein Blatt gegeben, und nun lasen
sie zurückgelehnt und rauchten. Als die Violine zu spielen be-
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gann, wurden sie aufmerksam, erhoben sich und gingen auf
den Fußspitzen zur Vorzimmertür, in der sie aneinanderge-
drängt stehen blieben. Man mußte sie von der Küche aus ge-
hört haben, denn der Vater rief: "Ist den Herren das Spiel
vielleicht unangenehm? Es kann sofort eingestellt werden."
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"Im Gegenteil", sagte der mittlere der Herren, "möchte das Fräulein nicht zu uns hereinkommen und hier im Zimmer spielen, wo es doch viel bequemer und gemütlicher ist?" "O bitte", rief der Vater, als sei er der Violinspieler. Die Herren traten ins Zimmer zurück und warteten. Bald kam der Vater mit dem
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Notenpult, die Mutter mit den Noten und die Schwester mit der
Violine. Die Schwester bereitete alles ruhig zum Spiele vor; die Eltern, die niemals früher Zimmer vermietet hatten und deshalb die Höflichkeit gegen die Zimmerherren übertrieben, wag-
ten gar nicht, sich auf ihre eigenen Sessel zu setzen; der Vater 20
lehnte an der Tür, die rechte Hand zwischen zwei Knöpfe des
geschlossenen Livreerockes gesteckt; die Mutter aber erhielt
von einem Herrn einen Sessel angeboten und saß, da sie den
Sessel dort ließ, wohin ihn der Herr zufällig gestellt hatte,
abseits in einem Winkel.
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Die Schwester begann zu spielen; Vater und Mutter verfolg-
ten, jeder von seiner Seite, aufmerksam die Bewegungen ihrer
Hände. Gregor hatte, von dem Spiele angezogen, sich ein
wenig weiter vorgewagt und war schon mit dem Kopf im
Wohnzimmer. Er wunderte sich kaum darüber, daß er in letzter
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Zeit so wenig Rücksicht auf die andern nahm; früher war diese
Rücksichtnahme sein Stolz gewesen. Und dabei hätte er gera-
de jetzt mehr Grund gehabt, sich zu verstecken, denn infolge
des Staubes, der in seinem Zimmer überall lag und bei der
kleinsten Bewegung umherflog, war auch er ganz staubbe-
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deckt; Fäden, Haare, Speiseüberreste schleppte er auf seinem
Rücken und an den Seiten mit sich herum; seine Gleichgültig-
keit gegen alles war viel zu groß, als daß er sich, wie früher
mehrmals während des Tages, auf den Rücken gelegt und am
Teppich gescheuert hätte. Und trotz dieses Zustandes hatte er
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keine Scheu, ein Stück auf dem makellosen Fußboden des
Wohnzimmers vorzurücken.
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Franz Kafka: Erzählungen
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Allerdings achtete auch niemand auf ihn. Die Familie war
gänzlich vom Violinspiel in Anspruch genommen; die Zimmer-
herren dagegen, die zunächst, die Hände in den Hosentaschen,
viel zu nahe hinter dem Notenpult der Schwester sich aufge-
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stellt hatten, so daß sie alle in die Noten hätten sehen können, was sicher die Schwester stören mußte, zogen sich bald unter
halblauten Gesprächen mit gesenkten Köpfen zum Fenster
zurück, wo sie, vom Vater besorgt beobachtet, auch blieben.
Es hatte nun wirklich den überdeutlichen Anschein, als wären
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sie in ihrer Annahme, ein schönes oder unterhaltendes Violin-
spiel zu hören, enttäuscht, hätten die ganze Vorführung satt
und ließen sich nur aus Höflichkeit noch in ihrer Ruhe stören.
Besonders die Art, wie sie alle aus Nase und Mund den Rauch
ihrer Zigarren in die Höhe bliesen, ließ auf große Nervosität
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schließen. Und doch spielte die Schwester so schön. Ihr Ge-
sicht war zur Seite geneigt, prüfend und traurig folgten ihre
Blicke den Notenzeilen. Gregor kroch noch ein Stück vorwärts
und hielt den Kopf eng an den Boden, um möglicherweise
ihren Blicken begegnen zu können. War er ein Tier, da ihn
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Musik so ergriff ? Ihm war, als zeige sich ihm der Weg zu der
ersehnten unbekannten Nahrung. Er war entschlossen, bis zur
Schwester vorzudringen, sie am Rock zu zupfen und ihr da-
durch anzudeuten, sie möge doch mit ihrer Violine in sein
Zimmer kommen, denn niemand lohnte hier das Spiel so, wie
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er es lohnen wollte. Er wollte sie nicht mehr aus seinem Zim-
mer lassen, wenigstens nicht, solange er lebte; seine Schreck-
gestalt sollte ihm zum erstenmal nützlich werden; an allen
Türen seines Zimmers wollte er gleichzeitig sein und den An-
greifern entgegenfauchen; die Schwester aber sollte nicht
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gezwungen, sondern freiwillig bei ihm bleiben; sie sollte neben
ihm auf dem Kanapee sitzen, das Ohr zu ihm herunterneigen,
und er wollte ihr dann anvertrauen, daß
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