Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
zu sein, der ihn aufgefordert hatte, der
    Exekution eines Soldaten beizuwohnen, der wegen Ungehor-
    sam und Beleidigung des Vorgesetzten verurteilt worden war.
    10
    Das Interesse für diese Exekution war wohl auch in der Straf-
    kolonie nicht sehr groß. Wenigstens war hier in dem tiefen,
    sandigen, von kahlen Abhängen ringsum abgeschlossenen
    kleinen Tal außer dem Offizier und dem Reisenden nur der
    Verurteilte, ein stumpfsinniger breitmäuliger Mensch mit ver-
    15
    wahrlostem Haar und Gesicht, und ein Soldat zugegen, der die
    schwere Kette hielt, in welche die kleinen Ketten ausliefen, mit denen der Verurteilte an den Fuß- und Handknöcheln sowie am
    Hals gefesselt war und die auch untereinander durch Verbin-
    dungsketten zusammenhingen. Übrigens sah der Verurteilte so
    20
    hündisch ergeben aus, daß es den Anschein hatte, als könnte
    man ihn frei auf den Abhängen herumlaufen lassen und müsse
    bei Beginn der Exekution nur pfeifen, damit er käme.
    Der Reisende hatte wenig Sinn für den Apparat und ging
    hinter dem Verurteilten fast sichtbar unbeteiligt auf und ab,
    25
    während der Offizier die letzten Vorbereitungen besorgte, bald
    unter den tief in die Erde eingebauten Apparat kroch, bald auf
    eine Leiter stieg, um die oberen Teile zu untersuchen. Das
    waren Arbeiten, die man eigentlich einem Maschinisten hätte
    überlassen können, aber der Offizier führte sie mit einem gro-
    30
    ßen Eifer aus, sei es, daß er ein besonderer Anhänger dieses
    Apparates war, sei es, daß man aus anderen Gründen die
    Arbeit sonst niemandem anvertrauen konnte. "Jetzt ist alles fertig!" rief er endlich und stieg von der Leiter hinunter. Er war ungemein ermattet, atmete mit weit offenem Mund und hatte
    35
    zwei zarte Damentaschentücher hinter den Uniformkragen
    gezwängt. "Diese Uniformen sind doch für die Tropen zu
    schwer", sagte der Reisende, statt sich, wie es der Offizier erwartet hatte, nach dem Apparat zu erkundigen. "Gewiß", sagte der Offizier und wusch sich die von Öl und Fett be-40
    schmutzten Hände in einem bereitstehenden Wasserkübel,
    "aber sie bedeuten die Heimat; wir wollen nicht die Heimat
    _________________________________________________________________

    Franz Kafka: Erzählungen

    - 54 -
    verlieren. - Nun sehen Sie aber diesen Apparat", fügte er
    gleich hinzu, trocknete die Hände mit einem Tuch und zeigte
    gleichzeitig auf den Apparat. "Bis jetzt war noch Händearbeit nötig, von jetzt aber arbeitet der Apparat ganz allein." Der 5
    Reisende nickte und folgte dem Offizier. Dieser suchte sich für
    alle Zwischenfälle zu sichern und sagte dann: "Es kommen
    natürlich Störungen vor; ich hoffe zwar, es wird heute keine
    eintreten, immerhin muß man mit ihnen rechnen. Der Apparat
    soll ja zwölf Stunden ununterbrochen im Gang sein. Wenn aber
    10
    auch Störungen vorkommen, so sind sie doch nur ganz kleine,
    und sie werden sofort behoben sein."
    "Wollen Sie sich nicht setzen?" fragte er schließlich, zog aus einem Haufen von Rohrstühlen einen hervor und bot ihn dem
    Reisenden an; dieser konnte nicht ablehnen. Er saß nun am
    15
    Rande einer Grube, in die er einen flüchtigen Blick warf. Sie
    war nicht sehr tief. Zur einen Seite der Grube war die ausge-
    grabene Erde zu einem Wall aufgehäuft, zur anderen Seite
    stand der Apparat. "Ich weiß nicht", sagte der Offizier, "ob Ihnen der Kommandant den Apparat schon erklärt hat." Der
    20
    Reisende machte eine ungewisse Handbewegung; der Offizier
    verlangte nichts Besseres, denn nun konnte er selbst den Ap-
    parat erklären. "Dieser Apparat", sagte er und faßte eine Kur-belstange, auf die er sich stützte, "ist eine Erfindung unseres früheren Kommandanten. Ich habe gleich bei den allerersten
    25
    Versuchen mitgearbeitet und war auch bei allen Arbeiten bis
    zur Vollendung beteiligt. Das Verdienst der Erfindung aller-
    dings gebührt ihm ganz allein. Haben Sie von unserem frühe-
    ren Kommandanten gehört? Nicht? Nun, ich behaupte nicht zu
    viel, wenn ich sage, daß die Einrichtung der ganzen Strafkolo-
    30
    nie sein Werk ist. Wir, seine Freunde, wußten schon bei sei-
    nem Tod, daß die Einrichtung der Kolonie so in sich geschlos-
    sen ist, daß sein Nachfolger, und habe er tausend neue Pläne
    im Kopf, wenigstens während vieler Jahre nichts von dem
    Alten wird abändern können. Unsere Voraussage ist auch ein-
    35
    getroffen; der neue Kommandant hat es erkennen müssen.
    Schade, daß Sie den früheren Kommandanten nicht gekannt
    haben! - Aber",

Weitere Kostenlose Bücher