Erzählungen
doch genau an", sagte der Offizier und trat neben den Reisenden, um mit ihm zu lesen. Als auch das nichts half, fuhr er mit
dem kleinen Finger in großer Höhe, als dürfe das Blatt auf
keinen Fall berührt werden, über das Papier hin, um auf diese
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Weise dem Reisenden das Lesen zu erleichtern. Der Reisende
gab sich auch Mühe, um wenigstens darin dem Offizier gefällig
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Franz Kafka: Erzählungen
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sein zu können, aber es war ihm unmöglich. Nun begann der
Offizier die Aufschrift zu buchstabieren und dann las er sie
noch einmal im Zusammenhang. "'Sei gerecht!' - heißt es", sagte er, "jetzt können Sie es doch lesen." Der Reisende beug-5
te sich so tief über das Papier, daß der Offizier aus Angst vor
einer Berührung es weiter entfernte; nun sagte der Reisende
zwar nichts mehr, aber es war klar, daß er es noch immer
nicht hatte lesen können. "'Sei gerecht!' - heißt es", sagte der Offizier nochmals. "Mag sein", sagte der Reisende, "ich glaube 10
es, daß es dort steht." "Nun gut", sagte der Offizier, wenigstens teilweise befriedigt, und stieg mit dem Blatt auf die Lei-
ter; er bettete das Blatt mit großer Vorsicht im Zeichner und
ordnete das Räderwerk scheinbar gänzlich um; es war eine
sehr mühselige Arbeit, es mußte sich auch um ganz kleine
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Räder handeln, manchmal verschwand der Kopf des Offiziers
völlig im Zeichner, so genau mußte er das Räderwerk untersu-
chen.
Der Reisende verfolgte von unten diese Arbeit ununterbro-
chen, der Hals wurde ihm steif, und die Augen schmerzten ihn
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von dem mit Sonnenlicht überschütteten Himmel. Der Soldat
und der Verurteilte waren nur miteinander beschäftigt. Das
Hemd und die Hose des Verurteilten, die schon in der Grube
lagen, wurden vom Soldaten mit der Bajonettspitze herausge-
zogen. Das Hemd war entsetzlich schmutzig, und der Verur-
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teilte wusch es in dem Wasserkübel. Als er dann Hemd und
Hose anzog, mußte der Soldat wie der Verurteilte laut lachen,
denn die Kleidungsstücke waren doch hinten entzweigeschnit-
ten. Vielleicht glaubte der Verurteilte, verpflichtet zu sein, den Soldaten zu unterhalten, er drehte sich in der zerschnittenen
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Kleidung im Kreise vor dem Soldaten, der auf dem Boden
hockte und lachend auf seine Knie schlug. Immerhin bezwan-
gen sie sich noch mit Rücksicht auf die Anwesenheit der Her-
ren.
Als der Offizier oben endlich fertiggeworden war, überblickte
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er noch einmal lächelnd das Ganze in allen seinen Teilen,
schlug diesmal den Deckel des Zeichners zu, der bisher offen
gewesen war, stieg hinunter, sah in die Grube und dann auf
den Verurteilten, merkte befriedigt, daß dieser seine Kleidung
herausgenommen hatte, ging dann zu dem Wasserkübel, um
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die Hände zu waschen, erkannte zu spät den widerlichen
Schmutz, war traurig darüber, daß er nun die Hände nicht
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waschen konnte, tauchte sie schließlich - dieser Ersatz genügte
ihm nicht, aber er mußte sich fügen - in den Sand, stand dann
auf und begann seinen Uniformrock aufzuknöpfen. Hierbei
fielen ihm zunächst die zwei Damentaschentücher, die er hin-
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ter den Kragen gezwängt hatte, in die Hände. "Hier hast du
deine Taschentücher", sagte er und warf sie dem Verurteilten zu. Und zum Reisenden sagte er erklärend: "Geschenke der
Damen."
Trotz der offenbaren Eile, mit der er den Uniformrock aus-
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zog und sich dann vollständig entkleidete, behandelte er doch
jedes Kleidungsstück sehr sorgfältig, über die Silberschnüre an
seinem Waffenrock strich er sogar eigens mit den Fingern hin
und schüttelte eine Troddel zurecht. Wenig paßte es allerdings
zu dieser Sorgfalt, daß er, sobald er mit der Behandlung eines
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Stückes fertig war, es dann sofort mit einem unwilligen Ruck in
die Grube warf. Das letzte, was ihm übrigblieb, war sein kurzer
Degen mit dem Tragriemen. Er zog den Degen aus der Schei-
de, zerbrach ihn, faßte dann alles zusammen, die Degenstü-
cke, die Scheide und den Riemen, und warf es so heftig weg,
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daß es unten in der Grube aneinanderklang.
Nun stand er nackt da. Der Reisende biß sich auf die Lippen
und sagte nichts. Er wußte zwar, was geschehen würde, aber
er hatte kein Recht, den Offizier an irgend etwas zu hindern.
War das Gerichtsverfahren, an dem der Offizier hing, wirklich
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so
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