Erzählungen
Reisenden an
beiden Armen und sah ihm schwer atmend ins Gesicht. Die
letzten Sätze hatte er so geschrien, daß selbst der Soldat und
der Verurteilte aufmerksam geworden waren; trotzdem sie
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nichts verstehen konnten, hielten sie doch im Essen inne und
sahen kauend zum Reisenden hinüber.
Die Antwort, die er zu geben hatte, war für den Reisenden
von allem Anfang an zweifellos; er hatte in seinem Leben zu
viel erfahren, als daß er hier hätte schwanken können; er war
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im Grunde ehrlich und hatte keine Furcht. Trotzdem zögerte er
jetzt im Anblick des Soldaten und des Verurteilten einen Atem-
zug lang. Schließlich aber sagte er, wie er mußte: "Nein." Der Offizier blinzelte mehrmals mit den Augen, ließ aber keinen
Blick von ihm. "Wollen Sie eine Erklärung?" fragte der Reisen-15
de. Der Offizier nickte stumm. "Ich bin ein Gegner dieses Verfahrens", sagte nun der Reisende, "noch ehe Sie mich ins Vertrauen zogen - dieses Vertrauen werde ich natürlich unter
keinen Umständen mißbrauchen -, habe ich schon überlegt, ob
ich berechtigt wäre, gegen dieses Verfahren einzuschreiten,
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und ob mein Einschreiten auch nur eine kleine Aussicht auf
Erfolg haben könnte. An wen ich mich dabei zuerst wenden
müßte, war mir klar: an den Kommandanten natürlich. Sie
haben es mir noch klarer gemacht, ohne aber etwa meinen
Entschluß erst befestigt zu haben, im Gegenteil, Ihre ehrliche
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Überzeugung geht mir nahe, wenn sie mich auch nicht beirren
kann."
Der Offizier blieb stumm, wendete sich der Maschine zu,
faßte eine der Messingstangen und sah dann, ein wenig zu-
rückgebeugt, zum Zeichner hinauf, als prüfe er, ob alles in
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Ordnung sei. Der Soldat und der Verurteilte schienen sich
miteinander befreundet zu haben; der Verurteilte machte, so
schwierig dies bei der festen Einschnallung durchzuführen war,
dem Soldaten Zeichen; der Soldat beugte sich zu ihm; der
Verurteilte flüsterte ihm etwas zu, und der Soldat nickte. Der
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Reisende ging dem Offizier nach und sagte: "Sie wissen noch nicht, was ich tun will. Ich werde meine Ansicht über das Verfahren dem Kommandanten zwar sagen, aber nicht in einer
Sitzung, sondern unter vier Augen; ich werde auch nicht so
lange hier bleiben, daß ich irgendeiner Sitzung beigezogen
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werden könnte; ich fahre schon morgen früh weg oder schiffe
mich wenigstens ein."
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Franz Kafka: Erzählungen
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Es sah nicht aus, als ob der Offizier zugehört hätte. "Das
Verfahren hat Sie also nicht überzeugt", sagte er für sich und lächelte, wie ein Alter über den Unsinn eines Kindes lächelt
und hinter dem Lächeln sein eigenes wirkliches Nachdenken
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behält.
"Dann ist es also Zeit", sagte er schließlich und blickte plötzlich mit hellen Augen, die irgendeine Aufforderung, irgendei-
nen Aufruf zur Beteiligung enthielten, den Reisenden an. "Wo-zu ist es Zeit?" fragte der Reisende unruhig, bekam aber keine 10
Antwort.
"Du bist frei", sagte der Offizier zum Verurteilten in dessen Sprache. Dieser glaubte es zuerst nicht. "Nun, frei bist du", sagte der Offizier. Zum erstenmal bekam das Gesicht des
Verurteilten wirkliches Leben. War es Wahrheit? War es nur
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eine Laune des Offiziers, die vorübergehen konnte? Hatte der
fremde Reisende ihm Gnade erwirkt? Was war es? So schien
sein Gesicht zu fragen. Aber nicht lange. Was immer es sein
mochte, er wollte, wenn er durfte, wirklich frei sein und er
begann sich zu rütteln, soweit es die Egge erlaubte.
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"Du zerreißt mir die Riemen", schrie der Offizier, "sei ruhig!
Wir öffnen sie schon." Und er machte sich mit dem Soldaten, dem er ein Zeichen gab, an die Arbeit. Der Verurteilte lachte
ohne Worte leise vor sich hin, bald wendete er das Gesicht
links zum Offizier, bald rechts zum Soldaten, auch den Reisen-
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den vergaß er nicht.
"Zieh ihn heraus", befahl der Offizier dem Soldaten. Es mußte hiebei wegen der Egge einige Vorsicht angewendet
werden. Der Verurteilte hatte schon infolge seiner Ungeduld
einige kleine Rißwunden auf dem Rücken.
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Von jetzt ab kümmerte sich aber der Offizier kaum mehr um
ihn. Er ging auf den Reisenden zu, zog wieder die kleine Le-
dermappe hervor, blätterte in ihr, fand schließlich das Blatt,
das er suchte, und zeigte es dem Reisenden. "Lesen Sie", sagte er. "Ich kann nicht", sagte der Reisende, "ich sagte 35
schon, ich kann diese Blätter nicht lesen." "Sehen Sie das Blatt
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