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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Beziehung zu Verkühlungen) und Leber (infolge Alkoholismus) aussprach, daß er zeitlebens ein Vergnügen daran gehabt habe, an der Sill auf und ab zu gehen, nicht den Inn
auf und ab , betonte er ausdrücklich, an der Sill auf und ab , schließlich, das Leben sei nichts anderes als Wiederholung der Wiederholung, erschöpfe sich sehr rasch in Monotonie. Ich hatte plötzlich den Eindruck, ich habe es mit einem Verrückten zu tun, mit einem jener Tausenden von Verrückten, die in den tirolischen Tälern und Schluchten herumlaufen mit ihrer Verrücktheit und keinen Ausweg aus ihrer Verrücktheit (aus Tirol) finden. Jetzt sagte ich, mir wäre doch recht, wenn er, Humer, sagte, aus was für einem Grund er bei mir sei. Darauf Humer: ich bin Besitzer des Bestattungswäschegeschäftes in der Saggengasse. Er wäre schon zweimal an meiner Kanzleitür gewesen, aber das sei bekannt, Anwälte hätten viel bei Gericht zu tun, in ihren Kanzleien seien sie kaum anzutreffen, so hab er unten vor der Haustür auf mich gewartet ... Während sich die Kanzlei rasch erwärmte, hatte ich das Gefühl, den Mann fror mehr und mehr, er zog sich mehr und mehr in den Wetterfleck zurück ... die alten, dicken Mauern, sagte ich, ich wollte sagen, die alten, dicken Mauern erwärmen sich nicht, sagte das aber nicht, weil mir unsinnig vorgekommen war, das zu sagen, so sagte ich nur: die alten, dicken Mauern. Ich denke, der Wetterfleck meines Onkels hat sechs Knopflöcher gehabt, sofort zähle ich die Knopflöcher an Humers Wetterfleckund zähle sie nocheinmal, ein drittes Mal, immer von oben nach unten und von unten nach oben und denke, auch der Wetterfleck Humers hat sechs Knopflöcher, sechs mit schwarzem Chevreauleder besetzte Knopflöcher, darauf der Gedanke, daß es sich bei dem Wetterfleck Humers um den Wetterfleck meines Onkels Worringer handeln müsse ... das sagte ich aber nicht, weil mir unsinnig vorkam, das zu sagen, dann aber gleich, ich sage doch etwas über den Wetterfleck, während ich etwas über die Obere Saggengasse sagte, bei Hochwasser andauernde Überschwemmungen in der Oberen Saggengasse , sagte ich, Humer nickte, ich sagte: es gibt kein nützlicheres Kleidungsstück als einen solchen Wetterfleck, verständlich, daß alle diese Wetterflecke anhaben, sagte ich, Ihr Wetterfleck ist aber ein besonderer Wetterfleck, er hat mit Chevreauleder besetzte Knopflöcher. Aber Humer reagierte nicht darauf oder besser, er reagierte nicht in der Weise darauf, wie ich es erwartet hatte. Er sagte, er habe noch nie einen Anwalt aufgesucht, ich sei der erste, er gebe zu, der erstbeste , keine Rekommandation, sagte er, nein, keine Rekommandation. Zwanzig Jahre bin ich an Ihnen vorbeigegangen, sagte er, aber ich habe nicht gewußt, daß Sie der Anwalt sind ... du gehst einfach in diese Kanzlei, habe er gedacht, in diese alte Kanzlei ... Besitzer des Bestattungswäschegeschäftes in der Saggengasse, weder ist der Mann Realitätenvermittler, noch Viehhändler ... Selbstverständlich kenne ich Ihr Geschäft, sagte ich, was hatte ich von der Lüge, daß mir das Bestattungswäschegeschäft selbstverständlich bekannt sei, immer wieder sagst du die Unwahrheit, dachte ich, dann, es ist mir gleichgültig, was der Mann denkt ... man wehre sich längere Zeit gegen das Aufsuchen eines Rechtsanwalts, dann komme aber doch der Augenblick, in welchem man einen Rechtsanwalt aufsuche, plötzlich könne man nicht mehr anders, man kann nicht mehr weiter und geht zu einem Anwalt ... das Deprimierendste sind Menschen, die in Ausweglosigkeit einen Anwalt aufsuchenund zweifellos handelt es sich bei Humer um einen solchen Menschen, dachte ich ... man habe die Wahl, sich umzubringen, oder zu einem Anwalt zu gehn, sagt Humer, schreibt Enderer, wie Humer das sagte, interessierte mich seine Lage ... jetzt, schreibt Enderer, interessierte mich alles an dem sich aufeinmal zu einem erschütternden zusammenziehenden Fall ... der Mann sprach jetzt sehr ruhig, ohne die geringste Erregung und ich notierte, keine Abschweifung, Beschränkung auf das Faktische, schreibt Enderer, die schmucklose Monotonie des Verzweifelten ... mich berühren die Menschen, die mich aufsuchen, nicht, schreibt Enderer, aber dieser Mann war eine Ausnahme ... plötzlich sagt Humer, schreibt Enderer: Vorbeigehende erkenne ich an ihrer Kleidung, ich sehe die Kleidung, nicht das Gesicht. Die Füße, ja , das Gesicht, nein . Zuerst schaue er auf die Schuhe. Darin unterscheiden wir uns, ich sagte, ich sehe sofort

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