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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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das Gesicht. Das Gesicht nicht, sagt er. So habe er zwanzig Jahre mein Gesicht nicht gesehen, nur meine Kleidung, während ich zwanzig Jahre sein Gesicht gesehen habe, nicht seine Kleidung, daher kommt es, schreibt Enderer, daß ich seinen Wetterfleck nie gesehen habe ... Wielange haben Sie denn Ihren Wetterfleck schon? sagte ich aufeinmal und Humer antwortete Viele Jahre , er sagte nicht vier oder fünf oder drei oder acht oder zehn oder zwölf Jahre, wie ich mir das erhofft hatte, er sagte Viele Jahre , es handelt sich zweifellos um einen vollkommen abgetragenen, aber doch noch warmen Wetterfleck, dachte ich, vor genau acht Jahren hat sich mein Onkel Worringer in die Sill gestürzt, meiner Ansicht nach ist der Wetterfleck des Humer schon älter, an die zehn Jahre, der Wetterfleck meines Onkels ist neu gewesen, höchstens ein Jahr alt ... aber ich fragte Humer nicht, woher er den Wetterfleck habe, obwohl das Naheliegendste gewesen wäre, zu fragen: woher haben Sie denn den Wetterfleck? Wo haben Sie denn den Wetterfleck gekauft? , ich fragte nicht, ich hörte noch längere Zeit, wie er sagte: Viele Jahre . Dasließ mir keine Ruhe, der Mann konnte sagen, was er wollte, ich hörte nur immer das Viele Jahre , und die Knopflöcher sind mit schwarzem Chevreauleder besetzt, dachte ich ... zuerst schaue er auf die Schuhe, dann, naturgemäß, auf die Hosenfüße, sagte Humer, schreibt Enderer, auf diese Weise sehe ich nie das Gesicht, auf diese Weise habe ich Ihr (mein) Gesicht, schreibt Enderer, nie gesehen, das kommt auch von seiner gebückten Körperhaltung, dachte ich, Humers Oberkörper war gekrümmt, die Wirbelsäule des Mannes war so stark gekrümmt, sah ich, während ich ihn, der noch mehr in dem Wetterfleck zusammengesunken war, beobachtete, wie ich noch keine gesehen habe ... die Qualität der Schuhe und die Qualität der Hosen interessiere ihn an einem Menschen, was für einen Anzug, was für einen Rock er anhabe, was Stoffe betrifft, habe er ein genauso ausgeprägtes Qualitätsempfinden, wie was Leder betrifft ... ist es echtes Leder? frage er sich, Kalbsleder, Rindsleder? Chevreau leder? oder: ist es vielleicht ein englischer Stoff? Nie das Gesicht, sagte er und er hob die Schultern und war dadurch noch kümmerlicher, mehrere Male wiederholte er nie das Gesicht, nie das Gesicht ... aber ich kenne Ihr Gesicht ganz genau, sagte ich, schreibt Enderer, augenblicklich hatte ich die Notwendigkeit, selbst etwas zu sagen, eingesehen, daß ich rede, etwas von mir , daß Humer, der aufeinmal sehr viel gesprochen hatte, schweigt und ich sagte: ich kenne Sie schon lange Zeit auf das Genaueste, dazu sagte ich überflüssigerweise auch noch Ihr Gesicht ist ganz und gar außergewöhnlich , sofort war ich mir der Peinlichkeit dieser Äußerung bewußt gewesen, die Infamie solcher Aussprüche wie Ihr Gesicht ist ganz und gar außergewöhnlich empfindet mein Gegenüber, habe ich denken müssen und ich sagte: zum Unterschied von Ihnen, der Sie immer gleich auf die Schuhe und auf die Hosenfüße schauen, schaue ich immer gleich auf das Gesicht, in das Gesicht. Immer zuerst das Gesicht, sagte ich. Nach einer Pause: die Kleidung der Leute interessiert mich nicht, mich interessiertnur das Gesicht und ich wiederholte das mehrere Male, mich interessiert nicht, was die Leute anhaben, mich interessiert nur ihr Gesicht ... indem ich in ihr Gesicht schaue, weiß ich sehr viel über diese Leute, sagte ich, schreibt Enderer, ich dachte, diese Menschen, die in ihren grauen und grünen Wetterflecken herumrennen und sich gegenseitig auf die Nerven gehen in ihren Wetterflecken und ich sagte zu meinem Gegenüber plötzlich laut: mit einem solchen Wetterfleck kann einem kein Unwetter etwas anhaben! , während ich mir innerlich sagte, du haßt alles, was mit diesen Wetterflecken zusammenhängt, trotzdem sagte ich nocheinmal: es gibt nichts nützlicheres, als einen solchen Wetterfleck, und je länger man einen solchen Wetterfleck trägt, sagte ich, tatsächlich sagte ich trägt , was unstatthaft ist, es ist absolut unstatthaft trägt zu sagen, und je länger man einen solchen Wetterfleck trägt , sagte ich, desto besser, man gewöhnt sich an das Tragen eines solchen Kleidungsstücks, sagte ich, der Gedanke, daß es sich bei dem Wetterfleck Humers um den Wetterfleck meines vor acht Jahren in der Sill ertrunkenen Onkels handeln könne, handelt , ließ mir keine Ruhe, einerseits interessierte mich Humers Schicksal , andererseits interessierte mich sein

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