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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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aus meiner ebenerdigen Wohnung hinausgeworfen. Über Nacht. Er, Humer, solle in den ersten Stock hinaufziehen, habe man ihm gesagt, schreibt Enderer und Humer sagt: hinter allem steckt meine Schwiegertochter aus Matrei, denn mein Sohn, Herr Doktor, hätte mich nicht hinausgeworfen, dazu ist er zu schwach, so etwas tut mein Sohn nicht. Aber, schreibt Enderer: die Söhne heiraten, so Humer, und sind bald von der gleichen Rücksichtslosigkeit wie ihre Frauen und das Einheiraten einer solchen wie meiner Schwiegertochter bedeutet die Auflösung des Geschäfts, seine Vernichtung . Unter dem Vorwand einer Geschäftsvergrößerung (Anschaffung eines doppelt so großen Zellstofflagers!), hat mich mein Sohn gezwungen, aus der ebenerdigen Wohnung aus- und in den ersten Stock hinaufzuziehen. Er hat aber gar kein größeres Zellstofflager angelegt, sagt Humer, dann, nach und nach, sah ich, er legt sich ja gar kein größeres Zellstofflager an und ich machte ihn darauf aufmerksam, daß ich nur, weil er sich ein größeres Zellstofflager anlegen hat wollen, aus der ebenerdigen Wohnung ausgezogen bin, daraufredete er von einer Sargabteilung, die er zu dem Bestattungswäschegeschäft aufmachen wolle, er habe schon um die Konzession angesucht, aber die Landesregierung lasse sich Zeit, schließlich habe ich herausbekommen, daß mein Sohn gar nicht um eine Konzession für eine Sargabteilung angesucht hat. Wie er lügt! sagte Humer, schreibt Enderer. Zuerst, ein größeres Zellstofflager, dann, eine Sargabteilung, dann: Platz für sechs neue Näherinnen!, was aber auch gelogen war, denn bis heute habe ich keine von den sechs neuen Näherinnen gesehen, im Gegenteil, anstatt achtzehn Näherinnen noch vor zwei Jahren , beschäftigen wir heute nur sechzehn. Und plötzlich, sagt Humer, schreibt Enderer, daß wir vom Bestattungswäschegeschäft allein nicht mehr leben könnten, solches sagt ein Mensch, der in die Kaiserkrone essen geht und nicht allein, sondern zu zweit, und dort Tausende ausgibt! Von dem Augenblick an, in welchem er seine Schwiegertochter ins Haus nehmen habe müssen, sei alles an seinem Sohn nurmehr noch Lüge und nichts als Lüge gewesen. Gegen einen Menschen wie meine Schwiegertochter kommt man aber nicht auf, sagt Humer, schreibt Enderer, alles wird nur noch schlimmer. Nun hätte Humer sich aber tatsächlich weigern können, aus seiner ebenerdigen Wohnung auszuziehen, schreibt Enderer, aber eine solche Weigerung geht meistens über die Kräfte eines Mannes wie Humer, wie überhaupt über die Kräfte eines jeden Mannes. Schließlich gehört das Geschäft ja noch mir! sagt Humer. Aber verheiratet sich der Sohn, kann der Vater in seinem Haus nicht mehr tun, was er will. Noch wußte er nicht das ganze Ausmaß der Katastrophe , so Humers Worte, die dadurch, daß ich aus meiner ebenerdigen Wohnung ausgezogen und in den ersten Stock hinauf gezogen bin, erst recht sich entwickeln konnte. Erschöpft sagt Humer, schreibt Enderer: und ich bin in den ersten Stock hinauf. Tagelang habe ich mir gesagt, ich gehe nicht hinauf und bin dann doch hinauf gegangen. Und wie ich oben gewesen bin, habe ich gesehen, alles Lüge, nichts alsnur Lüge, daß ich einer plumpen Lüge hereingefallen bin. Man hat mir ja nicht vorgeschlagen, auszuziehen, man hat mich hinausgeworfen, regelrecht hinausgeworfen, wiederholte Humer mehrere Male. Schwer, aber doch nach und nach, habe er sich an den ersten Stock gewöhnen können, sagte er, schreibt Enderer und Humer begann den Wetterfleck aufzuknöpfen. Während er den Wetterfleck aufknöpfte, es war jetzt nicht warm, es war heiß, bemerkte ich auf der Innenseite des Wetterflecks ein größeres Schneidersiegel, das gleiche Schneidersiegel, das mir vom Wetterfleck meines Onkels in Erinnerung ist. Oder habe ich mich getäuscht? schreibt Enderer, ist es vielleicht doch nicht das gleiche Schneidersiegel?, dachte ich und schon war das Schneidersiegel nicht mehr zu sehen, denn Humer hatte aufeinmal den Wetterfleck so gefaltet, von der linken und von der rechten Schulter herunter so gefaltet, daß das Schneidersiegel nicht mehr zu sehen gewesen war. Tatsächlich entdeckte er, Humer, schreibt Enderer weiter, sogenannte Ersterstockvorteile. Wie Sie wissen, sagt Humer, ist es in allen diesen Häusern und vor allem in den Saggengassenhäusern ebenerdig feucht, im ersten Stock aber ist es trocken. Sofort habe er eine Linderung seiner rheumatischen (er sagte, eine Besserung meiner rheumatistischen, er sagte nicht

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