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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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wunderbar gemischte Seele. Manchmal bat er sie des Nachts, ganz leise ein Schubertsches Lied zu singen. Das tat sie dann, indem sie ihn an sich heranzog, ihre Lippen ganz nah an sein Ohr brachte, und nun war die Dunkelheit des Zimmers von Schauern des Entzückens und der Bewunderung ganz erfüllt.
    Therese hatte ein kleines Vermögen in die Ehe gebracht, das eben dazu ausreichte, eine einfache Wohnung behaglich auszustatten; leben mußten sie von dem Gehalt des Mannes. Aber die Wirtschaftlichkeit der jungen Frau ließ nirgends das Gefühl einer Entbehrung aufkommen, ja im Sommer durften sie sich sogar während der Urlaubszeit von drei Wochen einen Aufenthalt in irgendeinem kleinen Walddorf Niederösterreichs gönnen. Die Zukunft stellte sich ihnen beiden als ein ungestörtes Miteinanderleben dar, die Schwermut des Alters lag noch in weiter Ferne, und an ein Ende dachte keines von ihnen. Sie waren nach siebenjähriger Ehe ein Paar von Liebenden.
    Im September, kurz nachdem sie von dem Landaufenthalt heimgekehrt, wurde Therese krank. Der Arzt gab von Anfang an keine Hoffnung, aber Gustav glaubte ihm nicht. Es schien ihm vollkommen unmöglich, daß Therese sterben könnte. Sie klagte wenig, sie schwand dahin. Er begriff es gar nicht recht. Erst in den letzten Tagen begann er es zu verstehen, was ihm bevorstand; da blieb er zu Hause und rührte sich von ihrem Bett nicht mehr weg. Eine ungeheure Angst kam über ihn. Er ließ zwei berühmte Professoren rufen; sie konnten nichts tun, als ihn vorbereiten, daß es bald zu Ende sein werde. Erst in der letzten Nacht fühlte Therese selbst, daß sie verloren sei, und nahm Abschied von ihm. Diese Nacht verging, dann kam noch ein endloser Tag, an dem es regnete. Gustav saß an Theresens Bett und sah sie sterben. Es war um die Stunde, da die Nacht hereinbrach.
    Dann war der fürchterliche Winter gekommen, der ihm jetzt beim Wehen der ersten Frühlings winde erschien wie eine lange schwere, dumpfe Nacht. Auch seine Berufspflichten hatte er wie in einem Halbschlaf erfüllt, aus dem er nun allmählich erwachte. Aber mit jedem dieser Frühlingstage schien er sich selbst mehr zur Besinnung zu kommen. Sein Schmerz, der ihn wie ein grimmiger Feind umfangen gehalten, ließ ihn allmählich los. Gustav atmete auf; er fühlte, daß er wieder am Leben war. Abends ging er spazieren. Er machte lange Wege, wie er sie vor Jahren gern zurückzulegen pflegte, anfangs nur in den Straßen der Stadt, dann, als die Tage länger wurden, weiter hinaus ins Freie, zu den Wiesen, Wäldern und Hügeln. Er liebte es, sich müde zu gehen. Vor dem Nachhausekommen hatte er eine gewisse Angst: nachts umgaben ihn die Wände seiner Wohnung mit quälender Enge, und wenn er aufwachte, weinte er nicht nur aus Schmerz, sondern auch aus Furcht. Er nahm den Verkehr mit seinen alten Bekannten wieder auf und kam abends zuweilen in das Gasthaus, wo einige Bürokollegen zu nachtmahlen pflegten. Als er einmal erzählte, daß er schlecht schliefe, riet man ihm, etwas mehr Wein als gewöhnlich zu trinken. Wie er diesem Rate folgte, bemerkte er verwundert, daß er an den Gesprächen lebhaft Anteil nahm und sich beinah froh erregt fühlte. Nachher, als er allein nach Hause ging, kam ihm vor, als hätten ihn seine Freunde in einer sonderbaren, gewissermaßen mißbilligenden Art betrachtet, und er schämte sich ein wenig.
    Die Tage wurden wärmer, und die Abende waren sehr lind. Seine Sehnsucht nach der Toten wurde wieder heftiger, und es gab Stunden, da jenes entsetzliche Bewußtsein des unwiderruflich Verlorenen mit der ganzen Kraft eines neuen Unglücks über ihn hereinbrach. Als er einmal an einem Sonntagnachmittag allein im Dornbacher Park spazierenging – der Frühling war in seiner ganzen Pracht über ihm, die Bäume waren gründicht belaubt, die Wiesen glänzten in hellen Farben, alle Wege waren von Spaziergängern belebt, Kinder spielten und liefen, junge Leute lagerten am Waldesrand –, da verstand er das erste Mal ganz, wie einsam er war, und wußte nicht, wie er sein Leid weiter tragen sollte. Er hatte das Bedürfnis, laut aufzuschreien, fühlte selbst, wie er mit weitaufgerissenen Augen und einem absonderlich raschen Gang unter allen den Menschen seinen Weg fortsetzte, und merkte auch, daß ihn manche mit Verwunderung betrachteten. Er wollte den Leuten entfliehen, suchte stillere Wege auf, stieg zwischen den hohen Birken und Tannen die Sofienalpe hinan und kam oben an, als die Sonne unterging. Er sah die Täler und

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