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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Kollegen im Wirtshaus wurde ihm unangenehm, er kam seltener und ging früher fort. Einmal geschah es ihm, daß ihm nachts beim Nachhausegehen auf der Stiege sein Licht verlöschte, da überfiel ihn eine solche Furcht, daß er sich auf den Stufen hinsetzte, zusammenkauerte und wimmerte. Er suchte zitternd nach seinen Streichhölzern. Als er eines fand und Licht machte und eine flackernde Helle um ihn sich verbreitete, versuchte er über sich zu lächeln. Absichtlich behielt er das Lächeln auf den Lippen, bis er in seinem Zimmer war. Da erblickte er sich im Spiegel und erkannte sich nicht. Er trat näher hin – so nah, daß sein Hauch den Spiegel trübte. In der einen Hand hielt er den Leuchter mit der Kerze, er stellte ihn auf die Kommode, über der der Spiegel hin, dann wich er zurück, setzte sich aufs Bett und entkleidete sich rasch mit dem Gefühl, daß er sich ins Bett flüchten müßte. Als er ausgestreckt dalag, zog er die Decke übers Gesicht. Da fiel ihm ein, daß das Licht noch brannte, aber er wagte es nicht aufzustehen. Er nahm sich vor, so lang wach zu bleiben, bis die Kerze gänzlich heruntergebrannt war. Langsam entfernte er die Decke von den Augen, da stand das Licht, und im Spiegel sah er es noch einmal. Er starrte hin und war nach wenigen Sekunden eingeschlafen.
    Am nächsten Morgen beim Aufwachen fiel ihm aber nicht vor allem seine Angst von gestern Abend ein, sondern jener Spaziergang auf die Sofienalpe vor wenigen Tagen. In der Erinnerung erschien ihm der als ein angenehmes Abenteuer, und wie etwas Erlösendes tauchte der Gedanke in ihm auf, daß er ja jeden Nachmittag aufs Land gehen, sich abends immer in einen Wirtshausgarten setzen und junge Mädchen und Frauen betrachten konnte. Selbst im Büro während der Arbeit konnte er heute an nichts anderes denken als an Wälder und Wiesen, wo junge Weiber, Frauen und Mädchen, in leichten Sommerkleidern und mit hellen Sonnenschirmen herumgingen. Aber als er nachmittags ernstlich daran dachte, aufs Land zu fahren, war er so müde, daß ihm die Ausführung einfach unmöglich vorkam. Er legte sich angekleidet aufsein Bett und hatte das Gefühl eines Menschen, der langsam von schwerer Krankheit genest. Abends ging er sehr langsam über den Ring spazieren und hatte eine Art von stiller Freude, wenn die Blicke vorübergehender Mädchen dem seinen begegneten. Manche sah ihn auch länger an, wandte selbst leicht den Kopf nach ihm um, und ihm schien in allen diesen Blicken eine Wärme, die er lange nicht gefühlt und nach der er eine große Sehnsucht gehabt hatte. Weiter gingen seine Wünsche nicht. Er dachte nicht daran, eine Bekanntschaft anzuknüpfen oder eines dieser Wesen in die Arme zu schließen; er freute sich nur ihres Daseins und ihrer Blicke.
    Noch mehrere Tage vergingen in dieser beinah traumhaften Weise, daß er vormittags im Büro von Wäldern und Wiesen und hübschen Frauen träumte, nachmittags halb schlummernd auf seinem Bett lag, abends spazierenging und ziemlich früh in einem Wirtshaus, meist im Freien, an einem Tisch hinter dem Staket zu Abend aß.
    Als er wieder einmal von seinem Nachmittagsschlummer erwachte und mitten im Zimmer stand, erschien mit einem Mal das ganze Leben dieser letzten Tage unverständlich. Am seltsamsten von allem erschien ihm, daß er nun ganze Tage seiner Frau nicht mehr gedacht, gewiß nicht mit wahrem Schmerz sich ihrer erinnert, und er bekam plötzlich eine große Sehnsucht zu weinen, als könnte er damit sein Unrecht wieder gutmachen. Aber er hatte keine Tränen. Dann auf der Straße, als der Zug der Frauen an ihm vorüberschwebte, flossen ihm langsam, als schämten sie sich ihrer Spärlichkeit und ihrer Verspätung, die Tränen über die Wangen. Gleich nachher war es ihm, als hätte er eine Schuld getilgt; er ging rascher und spürte etwas von Fröhlichkeit, da er so dahinschritt. Mit einer plötzlichen Klarheit wußte er heute, daß er wieder glücklich sein wollte und daß er es sein durfte. Ja, es überfloß ihn mit einer leisen Wonne, daß ihm so viel zur Verfügung stehe; er dachte an die Hunderte von schönen Weibern, die sich ihm nicht verweigern würden, wenn er wollte; jedes Lächeln, das ihm zu gelten schien, jede zufällige Berührung trieb ihm fliegende Schauer durch den ganzen Leib. Er freute sich auf irgend etwas, das ihm in der nächsten Zeit bevorstand, das er haben konnte, wenn er wollte – in einer Woche, oder morgen, oder heut, in einer Viertelstunde, wenn es ihm beliebte, und das

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