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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Hügel in rötlich-weißem Glänze liegen, und als er sich umwandte, sah er die Stadt wie in blaß-silbernen Dunst versinken. Er stand lange da und wurde ruhiger. Über der Landstraße, die er bis tief ins Tal hinunter verfolgen konnte, flogen leichte, niedere Staubwölkchen hin, dumpf hörte er das Rollen von Wagen, und laute Menschenstimmen, helles Lachen klang herauf. Langsam schlug er den Rückweg ein, nicht durch den Wald, wie er gekommen, sondern auf der breiten Fahrstraße. Er blieb manchmal stehen und atmete auf, als wäre ihm von irgendwoher ein Trost gekommen. Die Dämmerung brach rasch herein. An hübschen Landhäusern vorbei, vom Strom der Leute mitgerissen, kam er bald zu einem großen Wirtsgarten, der sehr besucht war. Die Gartenlaternen waren angezündet, an einem Tisch in der Tiefe des Gartens saßen Musikanten, die auf Ziehharmonika, Geige und Flöte Wiener Lieder spielten, während einer mit einer hohen und süßlichen Stimme dazu sang. Ziemlich weit von diesen, gleich neben dem Eingang, nahm Gustav Platz. Er betrachtete die Leute in seiner Nähe; am Tisch neben ihm saßen zwei junge Mädchen, die ihm sehr hübsch erschienen, die er sehr lange ansah. Er erinnerte sich seiner Junggesellenzeit, denn seitdem hatte er Frauen nie wieder mit solchem Blick betrachtet. Frauengestalten kamen ihm ins Gedächtnis, die er im Laufe der letzten Zeit auf seinen regelmäßigen Wegen vom Hause ins Büro begegnet, die ihm aber nichts bedeutet hatten. Heute, diesen blonden jungen Mädeln gegenüber, fühlte er zum ersten Male wieder, daß er noch ein junger Mann war. Jetzt fiel ihm auch ein, wie ihn manchmal die Frauen zuweilen auf der Straße anschauten, und mit Schrecken und Freude zugleich wurde ihm bewußt, daß das Leben doch noch nicht für ihn vorbei sein konnte und daß es schöne Frauen oder Mädchen gab, die er vielleicht umarmen würde. Wie ein Schauer ging es ihm über Hals und Lippen, wenn er an die Küsse dachte, die ihm noch bestimmt waren. Ein eigentümlicher Drang ergriff ihn, sich eines der Mädchen gegenüber am Tische in seinen Armen vorzustellen, und er schloß die Augen. Aber kaum waren ihm die Lider gesunken, so hatte er das Antlitz seiner toten Frau vor sich und sah ihren Mund langsam, mit einer leisen zuckenden Bewegung, die ihr eigen gewesen, sich dem seinen nähern. Entsetzt riß er die Augen wieder auf. Dieses Mädchen war nichts mehr für ihn. Er fühlte, daß keine Frau der Welt je mehr etwas für ihn bedeuten könnte. Mit der gleichen Gewalt wie heute während des Spazierganges brach sein Schmerz wieder hervor, und er wußte, daß er für die Welt und ihre Freuden verloren war. Er schämte sich der vorausgegangenen Augenblicke, und der Gedanke, je wieder ein Weib in seinem Arm zu halten, erfüllte ihn mit Ekel und Scham. Ganz vernichtet machte er sich auf den Heimweg. Es war ihm, als müßte er sich kasteien; er ging den langen Weg bis in seine Wohnung zu Fuß und kam in einer so tiefen Müdigkeit an, wie er sie nie verspürt zu haben glaubte, Leib und Seele schienen ihm wie zerschlagen; ein unruhiger, schwerer Schlaf kam über ihn, und er wachte mit der dunklen Ahnung auf, als stünde ihm etwas Gräßliches bevor.
    In den nächsten Tagen quälte er sich damit, eine neue Ordnung und einen neuen Inhalt für seine Existenz zu finden. Er sah ein, daß er sich dem wütenden Schmerz nicht weiter hingeben durfte, wenn er nicht zum Weiterleben unfähig werden wollte. Er wunderte sich jetzt im Zurückdenken, wie er eigentlich sein Dasein verbracht, bevor er seine Frau kennengelernt hatte; es schien ihm, als wäre es eine Art von Traumleben gewesen. Abgesehen von Büroarbeiten, die er stets mit einer gewissen Freude an seiner eigenen Verläßlichkeit besorgt hatte, waren seine geistigen Bedürfnisse gering gewesen. Er hatte gern Musik gehört und zuweilen Reisebeschreibungen gelesen, die ihn aber weniger durch einen abenteuerlichen Inhalt als durch Natur Schilderungen zu fesseln pflegten. Und wenn er sich jetzt fragte, was er am liebsten anfangen möchte, so mußte er sich sagen: reisen. Es war ihm aber unmöglich, seinen Beruf aufzugeben, und ein kurzer Urlaub, den er hätte erlangen können, wäre wertlos für ihn gewesen; ja bei näherer Überlegung überfiel ihn sogar eine gewisse Angst davor, in fremden Gegenden allein und ganz seinen Erinnerungen verfallen umherzuirren. So schwand die leichte Beruhigung, die der Anfang des Frühlings gebracht, wieder dahin. Auch die Gesellschaft seiner

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