Erzaehlungen
Zärtlichkeit über sie; sie dachte: jetzt um sieben geht der Zug nach Hause ab, und sie freute sich, als hätte sie jemanden überlistet. Sie ging langsam quer über die Brücke und erinnerte sich, wie sie sie vor wenigen Tagen überschritten, um in die Gegend seiner früheren Wohnung zu kommen und jenes Fenster wiederzusehen. Hier ist das Menschengewühl groß, zwei Ströme, der eine von der Vorstadt in die Stadt, von der Stadt in die Vorstadt der andere, fluten durcheinander, Wagen aller Art fahren vorbei, Klingeln, Pfeifen, Rufen der Kutscher ertönt, Berta versucht stehen zu bleiben, wird aber vorwärts geschoben. Plötzlich hört sie ganz neben sich einen Pfiff. Ein Wagen hält, ein Kopf beugt sich zum Fenster heraus .... er ist es. Er winkt sie mit den Augen herbei; einige Leute werden sofort aufmerksam und haben große Lust zu hören, was der junge Mann der Dame, die an seinen Wagen herantritt, zu sagen hat. Er spricht ganz leise:
»Willst du einsteigen?«
»Einsteigen ...?«
»Nun ja, es regnet doch.«
»Ich möcht' eigentlich lieber zu Fuß gehen.«
»Wie du willst.« Emil steigt rasch aus, bezahlt den Kutscher, und Berta merkt mit einigem Schreck, daß etwa ein halbes Dutzend Menschen ringsum sehr gespannt sind, wie sich diese merkwürdigen Vorgänge weiter entwickeln werden. Emil sagt zu Berta: »Komm.« Rasch übersetzen beide die Straße und entgehen so dem ganzen Gewühl. Jetzt spazieren sie langsam längs des Wienbetts in einer wenig belebten Straße weiter.
»Du hast ja nicht einmal einen Schirm, Emil!«
»Willst du mich nicht unter den deinen nehmen? Wart', so geht das nicht.« Er nimmt ihr den Schirm aus der Hand, hält ihn über sie beide und schiebt seinen Arm unter den ihren. Jetzt fühlt sie, es ist
sein
Arm, und freut sich sehr.
»Mit dem Land ist's leider nichts,« sagt er.
»Schade.«
»Also was hast du den ganzen Tag gemacht?«
Sie erzählt ihm von dem vornehmen Restaurant, in dem sie gespeist hat.
»Ja, warum hab' ich denn das nicht gewußt? Ich dachte, du bist bei deiner Cousine zu Mittag; wir hätten ja so gut zusammen frühstücken können!«
»Du hast ja so viel zu tun gehabt,« sagt sie, und ist ein wenig stolz, daß sie diesen leichten Ton des Spottes findet.
»Nun ja, nachmittags allerdings; eine halbe Oper hab' ich mir anhören müssen.«
»Wieso denn?«
»Es war ein junger Komponist bei mir, – übrigens ein sehr talentierter Mensch.«
Sie ist sehr froh; also in dieser Weise verbringt er seine Nachmittage.
Er blieb stehen, und ohne ihren Arm auszulassen, blickte er ihr ins Gesicht. »Weißt du, daß du eigentlich viel hübscher geworden bist? Ja, in allem Ernst! Aber jetzt erzähl' mir einmal aufrichtig, wie du auf die Idee gekommen bist, mir zu schreiben.«
»Ich hab' dir's ja gesagt.«
»Hast du denn in der ganzen Zeit an mich gedacht?«
»Sehr viel.«
»Auch während du verheiratet warst?«
»Gewiß, ich habe immer an dich gedacht. Und du?«
»Oft, sehr oft.«
»Aber ...«
»Nun, was?«
»Du bist eben ein Mann.«
»Ja, – aber was meinst du damit?«
»Du hast gewiß viele lieb gehabt.«
»Lieb gehabt ... lieb gehabt ... O ja, auch.«
»Aber ich,« sagte sie lebhaft, als bräche die Wahrheit übermächtig aus ihr hervor, »ich habe niemanden geliebt als dich.«
Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Dann sagte er: »Das lassen wir doch lieber dahingestellt.«
»Ich hab' dir auch Veilchen mitgebracht.«
Er lächelte. »Sollen die mir's beweisen? Du hast das so gesagt, als hättest du nichts anderes getan, seit wir uns nicht gesehen, als Veilchen für mich gepflückt oder wenigstens gekauft. Übrigens, danke schön. Warum hast du denn nicht in den Wagen einsteigen wollen?«
»Ja, das Spazierengehen ist doch so hübsch.«
»Aber auf die Dauer ... Wir nachtmahlen doch miteinander?«
»Ja recht gern. – Hier ist zum Beispiel ein Gasthaus,« setzte sie eilig hinzu.
Sie gingen jetzt durch stillere Gassen. Es dämmerte.
Er lachte. »Ah nein, das wollen wir uns doch ein bißchen gemütlicher einrichten.«
Sie schaute zu Boden. Dann sagte sie: »Wir müssen uns doch nicht an einen Tisch zu fremden Leuten setzen.«
»Gewiß nicht. Wir werden sogar irgendwohin gehen, wo gar keine andern sind.«
»Was fällt dir ein!« sagte sie. »Das tu' ich nicht.«
Er zuckte die Achseln. »Ganz wie du willst. Hast du schon Appetit?«
»Nein, gar nicht.«
Sie schwiegen beide. Dann sagte er: »Werd' ich nicht einmal deinen Buben kennen
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