Erzaehlungen
lernen?«
»Gewiß,« entgegnete sie erfreut. »Wann du willst.« Sie begann von ihm zu erzählen und kam dann auf ihre Familie zu sprechen. Emil warf zuweilen eine Frage dazwischen und bald wußte er alles, was in der kleinen Stadt vorging, bis zu den Bemühungen Klingemanns, von denen Berta lachend, aber mit einer gewissen Befriedigung berichtete.
Die Laternen brannten, auf dem feuchten Pflaster spiegelte das Licht.
»Liebes Kind, wir können ja nicht die ganze Nacht auf der Straße herumlaufen,« sagte Emil plötzlich.
»Ja ... ich kann doch nicht mit dir in ein Restaurant ... Denke nur, wenn ich zufällig meine Cousine treffe oder sonstwen.«
»Sei unbesorgt, es wird uns niemand sehen.« Rasch trat er in einen Torweg und schloß den Schirm.
»Was willst du denn?« Sie sah in einen großen Garten. Nahe den Mauern, von denen aus schützende Segelleinwand gespannt war, saßen Leute an gedeckten Tischen.
»Da, meinst du?«
»Nein. Komm nur.« Gleich rechts vom Tor befand sich eine kleine Tür, die angelehnt war. »Hier herein.«
Sie befanden sich in einem schmalen, beleuchteten Gang, an dessen beiden Seiten je eine Reihe von Türen lief. Ein Kellner grüßte, schritt voraus, an allen Türen vorbei, die letzte öffnete er, ließ die Gäste eintreten und schloß hinter ihnen wieder zu. In der Mitte des kleinen Zimmers stand ein Tischchen mit drei Gedecken, an der Wand ein blau-samtenes Sofa, gegenüber hing ein goldgerahmter, ovaler Spiegel, vor welchem Berta ihren Hut abnahm und auf dessen Glas sie die Namen »Irma« und »Rudi« eingekritzt sah. Zugleich sah sie im Spiegel, daß Emil hinter sie trat. Er legte seine Hände an ihre Wangen, beugte ihren Kopf nach rückwärts zu sich und küßte sie auf die Lippen. Dann wandte er sich ab, ohne zu reden, und klingelte. Ein sehr junger Kellner trat sofort ein, als wenn er vor der Tür gewartet. Nachdem der seinen Auftrag entgegengenommen hatte, ging er, und Emil setzte sich. »Nun, Berta?« Sie wandte sich ihm zu, er faßte leicht ihre Hand und ließ sie auch noch nicht los, als Berta schon in der Sofaecke neben ihm Platz genommen. Unwillkürlich berührte sie mit ihrer andern Hand seine Haare.
Ein älterer Kellner trat ein, und Emil stellte das Menü zusammen. Berta war mit allem einverstanden. Als der Kellner verschwunden war, sagte Emil: »Muß man da nicht fragen: warum erst heut?«
»Wie meinst du das?«
»Warum hast du mir nicht längst geschrieben?«
»Ja ... hättest du früher deinen Orden bekommen!«
Er hielt ihre Hand in der seinen und küßte sie.
»Du kommst ja so oft nach Wien.«
»O nein.«
Er sah auf. »Du hast mir doch so was Ähnliches geschrieben?«
Sie erinnerte sich jetzt und wurde rot. »Nun ja, ... manchmal ... Erst am Montag bin ich da gewesen.«
Der Kellner brachte Sardinen und Kaviar und ging.
»Nun,« sagte Emil, »es ist wahrscheinlich gerade die rechte Zeit.«
»Inwiefern?«
»Daß wir einander wieder begegnet sind.«
»O, ich hab' mich oft nach dir gesehnt.«
Er schien nachzusinnen. Dann sagte er: »Und daß es damals so war und nicht anders, ist vielleicht auch gut. Gerade deswegen ist die Erinnerung so wunderschön.«
»Ja, wunderschön.«
Sie schwiegen beide. Dann sagte sie: »Erinnerst du dich ...« Und nun begann sie von der fernen Zeit zu reden, von den Spaziergängen im Stadtpark, und von seinem ersten Auftreten im Konservatorium. Er nickte zu alldem, hielt seinen Arm auf der Lehne des Sofas und berührte leicht die Haare, die sich ihr im Nacken kräuselten. Zuweilen warf er ein Wort dazwischen. Auch er erinnerte sich; er wußte sogar noch von einem Ausflug, an einem Sonntag Vormittag in die Praterauen, den sie selbst vergessen hatte.
»Und weißt du noch,« sagte Berta, »wie wir uns ...« sie zögerte, es auszusprechen, »einmal beinah verlobt haben?«
»Ja,« sagte er. »Und wer weiß ...« Er wollte vielleicht sagen: es wäre das Beste für mich gewesen, wenn ich dich geheiratet hätte – aber er sagte es nicht.
Emil bestellte Champagner.
»Es ist noch nicht lang,« sagte Berta, »daß ich das letztemal Champagner getrunken; vor einem halben Jahr, als der fünfzigste Geburtstag meines Schwagers gefeiert wurde.« Sie dachte an die Gesellschaften bei ihrem Schwager, und es schien ihr wunderbar, wie weit das alles war: die ganze kleine Stadt und alle, die dort lebten. Der junge Kellner brachte den Eiskübel mit dem Wein. In diesem Augenblick fiel es Berta ein, daß Emil gewiß hier schon manchmal mit
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