Erzaehlungen
berühmten, seither verstorbenen Musiker verlobt gesagt hatte. Während er so über sie nachdachte, wurde ihm ihre Gestalt immer rührender und erschien ihm wie von Geheimnissen umflossen.
Am Abend besuchte Robert ein Vorstadttheater. In behaglicher, etwas müder und traumhafter Stimmung folgte er dem heiteren musikalischen Spiel und war kindlich erfreut, als ihm der erste Komiker mitten in einem Couplet von der Bühne herab vertraulich zunickte. Nach dem Theater nahm er den Weg in ein Kaffeehaus der inneren Stadt, wo sich seit Jahren allabendlich ein kleiner Kreis von Bekannten zu versammeln pflegte, mit denen Robert von der Reise aus, wenigstens anfangs, auf Ansichtskarten flüchtige Grüße getauscht hatte. Als er eintrat, sah er in der gewohnten Ecke Herrn August Langer sitzen, Vetter seiner verstorbenen Frau, einen liebenswürdigen, älteren Herrn, höheren Bankbeamten, der durch Tracht und Haltung seine viel bemerkte Ähnlichkeit mit einem in Sportkreisen sehr populären Aristokraten zu unterstreichen suchte. Schon von weitem, aber ohne sich zu erheben und ohne die Zeitung aus der Hand zu legen, winkte Langer dem Eintretenden zu, drückte ihm dann freundlich die Hand und stellte sofort mit Befriedigung dessen vorzügliches Aussehen fest. Rudolf Kunrich trat heran, ein kleiner Hofschauspieler, und stimmte Herrn Langer zu. Beide, sowohl Kunrich als auch Langer, erschienen Robert in den sechs Monaten seines Fernseins um viele Jahre gealtert. Der Eintritt Leinbachs, der als Familienvater und vielbeschäftigter Arzt hier nur ein seltener Gast war, bedeutete für Robert eine angenehme Überraschung. Leinbach, den Freund erblickend, nahm ihn sofort für sich allein in Anspruch, stellte die üblichen Fragen, wie man sie an einen von langer Reise Heimgekehrten zu richten pflegt, und fragte ihn endlich, ob er schon wieder ins Amt gehe.
Robert äußerte Zweifel, ob er einer Wiederaufnahme seiner Berufstätigkeit schon gewachsen sei.
Doktor Leinbach lächelte nur.
Robert beharrte: »Du vergißt, wie sehr ich mit meinen Nerven herunter war im Frühling, bevor ihr mich auf Reisen geschickt habt.«
Leinbach zuckte die Achseln: »Mein lieber Freund, wenn einer in der glücklichen Lage ist, sich wegschicken zu lassen – so schicken wir ihn natürlich weg. Andererseits gibt es viele Leute, denen es einfach nur an Zeit mangelt, verrückt zu werden.«
»Verrückt«, wiederholte Robert bei sich, warum sagt er gleich »verrückt«? Wenn ich nun die Geschichte mit meinem Augenlid vorbrächte? Es wäre vielleicht der richtige Moment. Und vorsichtig begann er: »Ich hatte übrigens die Absicht, dich morgen in deiner Ordinationsstunde heimzusuchen.«
»Ordinationsstunde –?! Da gehören zwei dazu, mein Lieber. Da müßte ich dich vor allem als Patienten ansehen.«
»Mir fällt nämlich seit einiger Zeit auf«, sagte Robert unbeirrt, »daß – mein linker Arm beträchtlich schwächer ist als mein rechter.« Der Einfall war ihm im gleichen Augenblick gekommen. »Ja, lach nur, es ist doch so.« Er hob langsam seinen linken Arm und ließ ungeschickt die Finger spielen.
»Na«, meinte Leinbach übertrieben heiter, »pack doch einmal mein Handgelenk mit deinem gelähmten linken Arm!«
Robert tat so, und Leinbach ließ ein scherzhaftes »Au« hören. »Und doch«, sagte Robert, »versichere ich dir: heute früh war mir, als könnte ich den Arm überhaupt nicht rühren; ja, die ganze linke Seite war irgendwie in dieses eigentümliche Gefühl miteinbezogen. Ich verspürte auch eine sonderbare Müdigkeit der linken Gesichtshälfte, und« – er wagte sich immer weiter vor – »das linke Auge konnte ich kaum öffnen.« Zugleich, da er den Blick Leinbachs doch mit einer gewissen ärztlichen Schärfe auf sich gerichtet sah, riß er beide Augen weit auf, um sich ja nicht zu verraten.
»Unsinn«, sagte Leinbach, »eine Seite ist bekanntlich immer schwächer als die andere. Die sogenannte Symmetrie der beiden Körperhälften ist überhaupt eine Fabel, das weißt du doch. Übrigens – wo bist du nur zuletzt gewesen? Am Meer, im Süden, nicht wahr? – Das war vielleicht nicht ganz das Richtige, besonders als Abschluß. Ich an deiner Stelle würde doch, bevor ich mein Amt antrete, ein paar Tage Gebirgsluft schnappen.«
»Du glaubst –?«
»Nicht etwa, daß ich es für notwendig hielte – keine Spur. Aber wenn man's tun kann ...« Er seufzte. »Von mir aus magst du natürlich ruhig in Wien bleiben.«
Der Dichter Kahnberg trat an den
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