Erzaehlungen
sich in seinen technischen Erörterungen nicht stören zu lassen. Gleich nach ihr, wie in einer Vorahnung von Roberts Besuch, zu früherer Stunde als gewöhnlich, trat Otto ein, noch im Überrock und mit der schwarzledernen Instrumententasche. Sein Haar und sein Bart erschienen Robert recht ergraut. »Nun also, da wäre man ja wieder«, sagte er etwas trocken. Er legte die Tasche hin, ergriff des Bruders Hände, schüttelte sie, und nach einem leichten Zögern umarmte er ihn, worauf sie beide etwas verlegen waren. Marianne nickte wie befriedigt. »Du kommst heute wohl schon aus dem Ministerium?« fragte Otto. – »Du überschätzt meinen Euer«, sagte Robert. »Mein Urlaub ist noch nicht abgelaufen, und es wäre nicht undenkbar, daß ich noch auf ein paar Tage ins Gebirge gehe. Edmund, den ich gestern abend zufällig im Café getroffen habe, rät mir dazu.« Er hatte absichtlich Leinbachs Vornamen genannt, um ihn gewissermaßen als den alten Freund und nicht etwa in seinem für Otto immer etwas anzweifelbaren ärztlichen Charakter ins Gespräch einzuführen. Otto konnte trotzdem ein ironisches Lächeln nicht unterdrücken. Um so mehr ließ es sich Robert später, als man bei Tische saß, angelegen sein, Leinbachs menschliche Vorzüge, insbesondere seine Liebenswürdigkeit und Gutherzigkeit zu loben, wobei er die Absicht verfolgte, sich von dieser Seite eines Schutzes gegenüber feindseligen Mächten zu versichern. Er sprach lebhaft, mit bewußter Aufgeräumtheit, berichtete dann ebenso von seiner Reise, verweilte mit besonderer Wärme bei der Schilderung der schönen Sommertage am Vierwaldstätter See, ohne Albertens zu erwähnen, und es war ihm dabei, als wenn er irgendeinen über ihm schwebenden Verdacht abwehren müßte.
Nach Tisch, da der Bruder Ordination abhalten mußte, blieb Robert mit der Schwägerin allein. Schweigend rauchte er seine Zigarre, als Marianne sich mit der Frage an ihn wandte: »Was macht denn dein Klavierspiel?« – »Mein Klavierspiel«, wiederholte er etwas melancholisch, »das weiß ich eigentlich selber nicht. Auf Reisen kommt man begreiflicherweise wenig dazu. Manchmal hat es mir wohl gefehlt.« – »Uns auch«, meinte Marianne lächelnd. Es war Roberts Gewohnheit gewesen, sich nach den Mahlzeiten, die Zigarre zwischen den Lippen, an den Flügel zu setzen und sich, wie Marianne es nannte, musikalischen Kaffee- und Havannaphantasien hinzugeben. So erhob er sich auch jetzt, begab sich ins Nebenzimmer ans Klavier und spielte allerlei Ernstes und Heiteres, Klassisches und Banales, nach- und durcheinander, ähnlich wie es gestern der Pianist in der Bar getan.
Plötzlich ließ er die Hände auf den Tasten ruhen, wandte sich nach Marianne um, die in der Diwanecke, mit einer Stickerei beschäftigt, seinem Spiele gefolgt war, und sagte: »Nun ist's genug. Es geht ohnehin nicht recht.« Und da sie eine Einwendung erhob, fuhr er fort: »Auch ist es höchste Zeit, daß ich mich wieder auf die Wanderschaft mache. Ich bin nämlich auf Wohnungssuche.«
»Ob du nicht lieber noch eine Weile warten solltest?« sagte Marianne. »Da du schon einmal im Hotel abgestiegen bist ... Es könnte sich ja doch fugen, daß du bald eine geräumigere Wohnung benötigst.« Robert, solcher Anspielungen von Mariannens Seite nicht ungewohnt, schüttelte den Kopf: »Dazu ist es nun doch allmählich zu spät geworden.« – »Warum?« erwiderte sie lebhaft. »Es kommt ja doch noch. Eines schönen Tages wirst du uns mit deiner Heiratsanzeige überraschen.«
Denkt sie an eine bestimmte Person, fragte er sich. An Fräulein Rolf am Ende? – Ich habe doch kaum dreimal mit ihr gesprochen. Sollte man trotzdem hier schon unterrichtet sein? Dann fiel ihm ein, daß an verschiedenen Orten der Schweiz Bekannte ihn mit Alberta gesehen hatten, zu der seine Beziehungen auch für Bruder und Schwägerin kein Geheimnis gewesen waren. Marianne hatte sich sogar manchmal, wenn sie ihn mit seiner Geliebten im Theater oder sonst irgendwo gesehen hatte, anerkennend und mit kaum verhehlter Bewunderung über deren guten und diskreten Geschmack geäußert. Da man es längst aufgegeben hatte, Robert mit bürgerlichem Maße zu messen, und er seit Beginn des Verhältnisses mit Alberta seiner Umgebung ruhiger, ja glücklicher erschienen sein mochte als in den Jahren vorher, so zweifelte er nicht, daß die Familie eine eheliche Verbindung mit Alberta nicht ungern gesehen hätte. Daß er die Torheit begangen, das anmutige Geschöpf kampflos einem
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