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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Tisch, begrüßte Robert zu dessen Verwunderung wie einen sehnlichst erwarteten Freund, zog ihn mit sich an einen Nebentisch, erzählte ihm die Fortsetzung einer Herzensgeschichte, von deren Beginn Robert seiner Erinnerung nach niemals das geringste erfahren hatte, und erkundigte sieh, ob ein Buch, das er an ihn vor etlichen Monaten abgesandt, richtig angelangt sei. Robert besann sich, daß ihn das Werk, ein Drama in Versen, mit einer sehr warmen Widmung von der Hand des Dichters, erreicht und daß er es auch gelesen hatte. Doch vermochte er sich des Inhalts durchaus nicht zu erinnern. Er war eben in Verlegenheit, wie er sich verspätet bedanken und was er über das Buch sagen sollte, als die Herren insgesamt aufbrachen, um den Abend in einer Bar zu beenden. Robert schloß sich gerne an, und bald saßen sie alle in einem niederen, menschenerfüllten, überhellen Raum an kleinen Tischen und lauschten dem Klavierspieler, der Opernarien, Tänze, Lieder, aufs feinste harmonisiert, mit zwanglosen Übergängen unermüdlich vortrug.
    Robert besonders hörte mit einer Art von fachmännischem Vergnügen zu, da sein eigenes Talent demjenigen dieses Nachtpianisten, der tagsüber als Sparkassenbeamter sein Brot verdiente, einigermaßen verwandt war. Doktor Leinbach versuchte sein persönliches Verhältnis zur Musik philosophisch klarzulegen. Er sprach dieser Kunst einen sozusagen amoralischen Charakter zu, indem er für seinen Teil unter dem Einfluß schöner Klänge sich stets geneigt fühle, sich von sämtlichen Fehlern und Sünden, begangenen und zukünftigen, ein für allemal zu absolvieren. Robert erinnerte sich, daß er dieses Lokal zuletzt in Albertens Gesellschaft besucht hatte; und er fragte sich, wo sich die einstige Geliebte jetzt wohl befinden möge. Ob der junge Amerikaner, mit dem sie abgereist war, sie wirklich geheiratet hatte? Er zweifelte daran. Der Mann konnte doch ebensogut ein Hochstapler gewesen sein und sie drüben oder schon hier in Europa im Stich gelassen haben. Wie gewissenlos war er doch gewesen, sie – nicht etwa aus Edelsinn, sondern aus verletzter Eitelkeit – aufzugeben und einem wildfremden Menschen zu überlassen oder geradezu auszuliefern.
    Immer mehr Leute drängten in den kleinen Raum und zwängten sich zwischen Tischen und Stühlen durch. Eine sehr große, unnatürlich magere junge Dame in Begleitung von zwei Herren blieb eine Weile, mit den Blicken im Saal umherschweifend, nah von Robert stehen, und ihr Arm streifte den seinen. Da sie keinen Platz fand, wandte sie sich mit ihren Begleitern wieder zum Gehen, doch an der Tür sah sie sich lächelnd nach Robert um.
    Ein frisch gefülltes Glas Champagner stand vor ihm. Er trank es in einem Zug aus – mit Lust, fast mit Begier. Der Klavierspieler phantasierte über Themen aus Wagnerschen Opern in parodistischem Walzertempo. Irgend etwas längst Vergangenes zog durch Roberts Sinne. Vor vielen Jahren, zu Beginn seiner Ehe, war er einmal während einer Tristan-Aufführung mit seiner jungen Gattin in der verdunkelten Loge sehr zärtlich gewesen. Es war ihm nun in der Erinnerung, als hätte er sie damals unendlich geliebt, und er dachte, daß vielleicht manches in seinem Leben anders gekommen wäre, wenn sie nicht so jung hätte sterben müssen. Trotz dieses wehmütigen Einfalls fühlte er sich ganz behaglich und merkte, daß er mit der Hand sanft zum Klavierspiel den Takt schlug. Er lächelte oder wollte vielmehr lächeln, denn plötzlich fühlte er seine Lippen zucken, Tränen stiegen ihm in die Augen, und er konnte sich eben noch mit Mühe zurückhalten, laut aufzuschluchzen. Er biß die Zähne zusammen, sah rings um sich, ob irgend jemand seine Schwäche bemerkt hätte, und lachte nun auf, aber so laut und schrill, daß etliche Blicke sich nach ihm wandten. Leinbach schaute ihn scharf an. »Was hast du?« fragte er. Robert schüttelte den Kopf. »Mir ist was Komisches eingefallen«, sagte er. – »Darf man wissen?« fragte Leinbach anscheinend nur aus Neugier. – »Nichts für euch, nichts für euch«, erwiderte Robert, blickte dann verstohlen umher, stellte für sich fest, daß er keine weitere Aufmerksamkeit erregte und daß nur aus einer Ecke zwei Augen, die einem jungen Mädchen angehörten, höhnisch oder vielleicht bedauernd auf ihn starrten. Er gab den Blick so hart zurück, daß das junge Mädchen wegsah und mit Beflissenheit durch den Strohhalm ihr Eisgetränk weiterschlürfte. Robert aber sagte sich, daß er nicht länger bleiben

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