Erzaehlungen
Plüschportieren fiel von der Messingstange des Alkovens in leichten Falten ein lichter, geblümter Kretonnevorhang herab, der zu der Farbe der neuen Tapete abgestimmt war. Sollte er diese Veränderung ins Helle, Freundliche als günstige Vorbedeutung ansehen? Er versuchte es vergebens. Denn mit grausamer Deutlichkeit stieg vor Roberts Sinnen der längst vergangene Frühlingsabend wieder auf, an dem nicht nur des Freundes, sondern – wie er tief erschauernd fühlte – vielleicht schon sein eigenes Schicksal geheimnisvoll sich angekündigt hatte. Und er erlebte ihn wieder.
Mit seinem Bruder Otto, dem Leutnant Höhnburg und anderen guten Bekannten war er nach einem Wettrennen in der Freudenau in einem menschenüberfüllten Partergarten eingekehrt. Höhnburg war unter ihnen allen der Lauteste und Lustigste gewesen, noch lauter und übermütiger, als er sonst zu sein pflegte, und es war nicht sonderlich aufgefallen, als er dem Kellner ein Trinkgeld in ungewöhnlicher Höhe überreichte. Auf dem Heimweg aber hatte Otto den Bruder beiseitegenommen und ihm anvertraut, daß ihr gemeinsamer Freund Höhnburg – was die andern noch nicht ahnten, er selbst als Arzt aber seit etlichen Tagen mit Bestimmtheit wußte – unheilbarem Wahnsinn verfallen sei und in spätestens drei Jahren unter der Erde liegen werde. Robert lehnte sich zuerst gegen die Zumutung auf, in dem jungen Kavallerieoffizier, der ein solches Bild ungetrübter, ja gesteigerter Gesundheit bot und der zudem sein Freund war, einen Gezeichneten, einen Verurteilten zu erblicken. Als er sich aber endlich den Fachkenntnissen seines Bruders gegenüber bescheiden mußte, begann ihm Wesen und Benehmen, ja die ganze Erscheinung seines Freundes unheimlich und immer unheimlicher zu werden; er vermied es, das Wort an ihn zu richten, ja hatte geradezu Angst, daß jener sich wieder zu ihm wenden und vielleicht den Arm unter den seinen schieben würde, und ohne Abschied verschwand er aus der Gesellschaft. Schon wenige Tage darauf erlitt Höhnburg einen Tobsuchtsanfall und mußte einer Anstalt übergeben werden.
Bei der nächsten Begegnung mit Otto, ohne vorherige Absicht, wie einer ganz plötzlichen, unwiderstehlichen Eingebung folgend, stellte Robert die Forderung an den Bruder, dieser möge, wenn er irgendeinmal, sei es morgen oder in ferner Zukunft, die Vorzeichen einer Geisteskrankheit an ihm entdecke, ihn ohne weiteres auf rasche und schmerzlose Weise, wie sie dem Arzte ja immer zu Gebote stünde, vom Leben zum Tode befördern. Otto verspottete ihn zuerst als unverbesserlichen Hypochonder, Robert aber gab nicht nach und erklärte, daß brüderliche liebe einen solchen Dienst nie und nimmer verweigern dürfe, da ja in jedem andern Fall der Kranke selbst nach Beheben seinen Leiden ein Ende machen könnte, während eine Geistesstörung den Menschen zum willenlosen Sklaven des Schicksals erniedere. Otto brach unmutig das Gespräch ab. Im Laufe der nächsten Wochen aber kam Robert mit solcher Beharrlichkeit immer wieder auf seine Forderung zurück, unterstützte sie mit so ruhig vorgebrachten und eigentlich unwidersprechlichen Gründen, daß Otto, um nur das unleidliche Geschwätz endlich loszuwerden, sich das erbetene Wort entreißen ließ. Doch auch damit gab Robert sich noch nicht zufrieden; er schrieb an seinen Bruder einen Brief, darin er ihm trocken, gradezu geschäftsmäßig, den Empfang jenes Versprechens bestätigte und ihm überdies riet, diese Bestätigung sorgfältig aufzubewahren, um sich vielleicht später einmal Anklägern oder Zweiflern gegenüber mit der unwiderleglichen Rechtfertigung einer notwendigen Tat ausweisen zu können.
Nach Absendung seines Briefes fühlte Robert sich beruhigt, und es war von nun an, wie im gegenseitigen Einverständnis, zwischen den Brüdern von jener Abmachung mit keinem Worte, ja nicht einmal andeutungsweise mehr die Rede gewesen. Robert aber fühlte sich wie von einem Bann befreit; ja ihm war, als wäre nun von allein Möglichkeiten, die sein Dasein bedrohen könnten, grade jene düsterste ein für allemal aus der Welt geschafft. Auch als er sich im letzten Frühling gezwungen sah, jeder Beschäftigung zu entsagen, weil sein Gedächtnis versagte – als er sich aus der Gesellschaft zurückzog, weil ihn die gleichgültigsten Worte ärgerlich oder gar schmerzlich berührten, als er sogar sein geliebtes Klavierspiel aufgeben mußte, weil es ihn selbst manchmal bis zu Tränen rühren konnte, deren er sich dann schämte –, auch
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