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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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dürfe, und rief nach dem Kellner. Ich werde nicht so dumm sein und ihm zehn Gulden Trinkgeld geben, dachte er. Indes war die ganze Rechnung schon von August Langer beglichen worden. Robert bedankte sich mit humoristischer Übertriebenheit und empfahl sich. In den Teller auf dem Deckel des Pianinos legte er zu den dort schon gesammelten kleineren Münzen ein goldenes Zehnkronenstück, ärgerte sich zugleich, wagte aber nicht, es wieder zurückzunehmen. Der Pianist nickte zum Dank, und immerfort weiterspielend sagte er: »Herr Sektionsrat sind verreist gewesen? Nun wird man aber hoffentlich wieder öfter das Vergnügen haben.« Wie nett doch die Leute mit mir sind, dachte Robert. Alle: Kahnberg, Langer, der Klavierspieler; – sogar der Komiker im Theater hat mir von der Bühne her zugenickt. Nur Leinbach ist und bleibt ein unleidlicher Narr. – Er haßte ihn in diesem Augenblick.
    Die Straßen waren beinah menschenleer. Von einer Turmuhr schlug es zwei. Ein Glück, dachte er, daß man noch keine Amtsstunden einzuhalten hat und sich morgen wird ausschlafen können. Er ging rasch und sicher, trällerte vor sich hin, endlich begann er sogar zu singen mit einer schönen dunklen Stimme, die ihm selber fremd vorkam. Vielleicht ist es gar nicht meine Stimme, dachte er, vielleicht bin ich es überhaupt gar nicht selber? Vielleicht träume ich? Vielleicht ist es mein letzter Traum, den ich träume, der Traum auf dem Sterbebett?
    Er erinnerte sich eines Einfalls, den Leinbach vor Jahren in größerer Gesellschaft ganz ernsthaft, ja, mit einer gewissen Wichtigkeit vorgebracht hatte. Er hatte damals einen Beweis gefunden, daß es eigentlich keinen Tod auf der Welt gebe. Es sei ja zweifellos, erklärte er, daß nicht nur für Ertrinkende, sondern daß für alle Sterbenden im letzten Augenblick das ganze Leben mit einer ungeheuren, für uns andere gar nicht zu erfassenden Geschwindigkeit noch einmal sich abrolle. Da nun dieses erinnerte Leben natürlich auch wieder einen letzten Augenblick habe und dieser letzte Augenblick wieder einen letzten, und so weiter: so bedeute das Sterben im Grunde nichts anderes als die Ewigkeit – unter der mathematischen Formel einer unendlichen Reihe. Robert erinnerte sich noch, wie erbittert Otto dieses Gefasel zurückgewiesen hatte; Robert aber, ohne sich für Leinbachs Auffassung gradezu einzusetzen, hatte keineswegs vermocht, sie völlig unsinnig zu finden. Wenn jene Erklärung stimmte, so wußte man freilich nie, zum wievielten Male man irgendeine Sache durchlebte, und überdies war es gleichgültig, da man ja alles unendliche Male zu durchleben verdammt war. – Ach, Unsinn über Unsinn! Eine fragwürdige Erscheinung, dieser Leinbach, und als Arzt überhaupt nicht ernst zu nehmen! Den konnte man natürlich anschwindeln, wie man nur wollte; es war keine Kunst. Mit Otto würde man kein so leichtes Spiel haben ...
    Das Tor des Gasthofs öffnete sich vor ihm. Als er die Treppen hinaufstieg, standen plötzlich wieder, wie vor beinah zwanzig Jahren, die Wände eines kleinen alten Palastes um ihn; und das verblichene Rot des Stiegenteppichs leuchtete wie Purpur unter seinen Füßen. Zum wievielten Male schritt er wohl diese Treppe jetzt hinauf? Zum hundertsten, zum tausendsten Male? Und immer wieder? Wie oft war sie der arme Höhnburg hinaufgegangen zu seiner geliebten Schauspielerin? Und ging er sie immer noch, und mußte sie ewig gehen –?! Zum Teufel mit den unsinnigen Gedanken! Jedenfalls wollte sie nicht enden, diese Treppe. In welche Finsternis verlor sich der Gang? Jäh war die Beleuchtung im Stiegenhaus verlöscht. Robert schrak zusammen. Aber er faßte sich, entzündete ein Streichholz und leuchtete sich so bis zur Tür. Als er sie hinter sich geschlossen und das Zimmerlicht eingeschaltet hatte, atmete er auf, wie einer Gefahr entronnen.

V

    Mit einem aufgetakelten Segelboot sowie einem Schlachtschiff, die er beide soeben in einem Spielwarengeschäft in dankbarer Erinnerung an seinen Aufenthalt am Meer erstanden, trat er am nächsten Tag in das Zimmer seiner Neffen, eines neunjährigen und eines sechsjährigen Knaben, die dem Oheim und den Geschenken einen freudigen Empfang bereiteten. Eben war er daran, den Kindern, ohne besondere Fachkenntnisse, aber höchst gemeinverständlich, die Bauart der kleinen Modelle zu erläutern, als die Mutter mit vielen kleinen Paketen heimkehrte und Robert aufs herzlichste willkommen hieß. Mit ihrem gewohnten spöttisch-vergnügten Lächeln bat sie ihn,

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