Erzaehlungen
zeigen, denen sein langes Fernbleiben vielleicht sonderbar erschienen sein mochte. Sie beglückwünschten ihn alle sehr herzlich zu seiner Verlobung, August Langer allerdings mit einem eigentümlichen hämischen Zucken der Mundwinkel, ungefähr als ob er andeuten wollte, daß ihm für seinen Teil das Los dieses neuen Opfers, das der einstige Verwandte gefunden, glücklicherweise vollkommen gleichgültig sein konnte. Sofort aber erkannte Robert diese Auslegung, die er eine Sekunde lang einem nichtsbedeutenden Mienenspiel zu geben bereit war, als das letzte Aufflackern einer lächerlichen, längst abgetanen Wahnidee.
Doktor Leinbach schien etwas verletzt, daß auch er nur durch das Gerücht von dem wichtigen Ereignis im Leben seines Freundes Kunde erhalten. Durch Roberts Versicherung, daß ihm die öffentliche Bekanntgabe von Verlobungen stets als eine überflüssige und unzarte Einrichtung erschienen sei, ließ Leinbach sich unschwer beschwichtigen und führte sogar in Ergänzung von Roberts Anschauungen aus, daß man seiner Überzeugung nach in einer höher kultivierten Zeit auch von der Verkündigung vollzogener Heiraten, insbesondere aber von öffentlichen Hochzeitsfeiern als von einer völlig barbarischen Sitte Abstand nehmen würde. Robert ließ ihn eine Weile weiterreden, um ihn sich günstig zu stimmen, endlich aber, als sich Leinbach seiner Gewohnheit nach in endlose philosophische Erörterungen verlieren wollte, unterbrach er ihn mit der Bemerkung, daß er ihn aus einem ganz bestimmten, leider recht ernsten Grunde zu einer Unterredung hierher gebeten habe. Und unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit vertraute er ihm seine Besorgnisse wegen Ottos Gesundheitszustand an und fragte ihn, ob nicht auch ihm in der letzten Zeit der unruhige Blick, die übertriebene Reizbarkeit, der sonderbare Gang Ottos aufgefallen sei.
»Ich sehe ihn selten«, sagte Doktor Leinbach und zog die Stirn in Falten.
»Ich möchte gleich bemerken«, fuhr Robert fort, »daß ich nicht der einzige bin, der Otto verändert findet. Auch Marianne ergeht es nicht anders. Und sähest du ihn öfter, so würde es dir gewiß nicht entgangen sein, wie sein Wesen im Laufe des letzten Jahres sich getrübt und verdüstert hat.«
»Verdüstert«, wiederholte Leinbach mit wichtiger Miene. »Das dürfte stimmen. Natürlich verdüstert sich sein Wesen. Wie könnte es auch anders sein. Auch meines verdüstert sich, wenn auch offenbar auf eine andere, minder augenfällige Weise, als es bei Otto der Fall ist. Vielleicht auch merkst du es besser an ihm, weil er dir näher steht als ich. Aber glaube mir, wenn du jemals einem Arzt begegnest, dessen Wesen in einem gewissen Alter, sagen wir zwischen vierzig und fünfzig, licht bleibt, dann kann er nur ein Stümper oder ein Wicht gewesen sein. Bedenke doch nur«, und Leinbachs Stimme bebte ein wenig, »wir sind ja in einem gewissen Sinne dazu bestimmt, die Leiden aller der Menschen auf uns zu nehmen, die uns ihre Leiden klagen, auch wenn es uns nicht direkt zum Bewußtsein kommt, – ja, das ist dann vielleicht noch schlimmer. Die Sentimentalen haben es freilich besser; die werden mit jedem Fall im einzelnen fertig, durch Rührung sozusagen. Aber bei unsereinem, bei den Starken, da ballt es sich zusammen. Natürlich merkt man es im allgemeinen nicht, sonst würden wir ein wahrhaft tragisches Schauspiel darbieten. Nur die Leute, die uns lieben, die merken das, was du eben so richtig Verdüsterung genannt hast. Überhaupt weiß ja niemand etwas von uns außer den Menschen, die uns lieben. Wir selber –«
Robert gab es auf, ihm weiter zuzuhören. Er sah, daß hier nichts für ihn zu holen war. Er hätte es vorher wissen müssen. Warum hatte er diesem abgeschmackten Tropf gegenüber von seinen Besorgnissen überhaupt gesprochen? Es war zum mindesten eine Unvorsichtigkeit gewesen.
August Langer und Kahnberg, der sich der etwas peinlichen Szene von neulich nicht mehr zu erinnern schien, traten herzu und forderten Robert zu einer Kartenpartie auf. Robert nahm den Vorschlag gern an und fand sich bald so angenehm zerstreut, daß er fast bedauerte, sich ein so harmloses Vergnügen seit langer Zeit versagt zu haben. Leinbach schaute dem Spiele vorerst schweigend zu. Bald aber konnte er es nicht unterlassen, Bemerkungen allgemeiner Natur einzustreuen, insbesondere über das, was man in so oberflächlicher Weise als das Glück im Spiel zu bezeichnen pflege, das er für seinen Teil aber seit jeher als den Ausdruck
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