Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
Höhnburgs Erkrankung, war er von allerlei Zwangsvorstellungen und schlimmerem Wahn gequält worden und hatte das seinem Bruder nicht nur eingestanden, sondern ihn gradezu gebeten, mit ihm ein Ende zu machen, wenn das Furchtbare Wahrheit würde; nicht gebeten nur, er hatte ihm ein Dokument übergeben, das Otto dazu verpflichtete und zugleich jeder Verantwortung entband. War es nicht vielleicht grade dieses unglückselige Schriftstück gewesen, das in die Seele Ottos zuallererst den Keim der Verstörung gelegt hatte, und hätte sich andernfalls dessen Wahnsinn nicht nach einer ganz anderen Richtung entwickeln können? Glücklicherweise schien Otto selbst seiner Sache nicht ganz sicher, sonst hätte er es wohl nicht darauf angelegt, sich Verbündete zu suchen, um mit seiner Diagnose nicht allein zu stehen. Verbündete waren freilich immer leicht zur Hand, und nun gar hier, wo derjenige, der den Verdacht aussprach, ein Arzt, ein hochgeschätzter Nervenarzt war, von dem keiner ahnte, daß es mit seinen eigenen Nerven nicht zum besten stand, und der Verdächtigte des Arztes Bruder war und ein Mensch dazu, der von Jugend auf als nervös, als ein Sonderling, bei vielen als verrückt gegolten hatte und soeben monatelang berufsunfähig auf Krankenurlaub in der Welt umhergereist war.
    Doch so bedenklich die Angelegenheit in diesem Augenblick zu stehen schien, so sehr man auf der Hut sein mußte, verloren war sie noch lange nicht. Für tatsächlich, für im wahren Wortsinn verrückt hielt ihn heute doch niemand, es sei denn, daß Otto selbst schon so weit war. Und wenn die anderen, sogar die Ärzte, die schwere Verstörung Ottos – es mußte ja noch keineswegs Wahnsinn sein – noch nicht zu erkennen vermochten; – er, Robert, der einzige, der klar sah, hatte wohl das Recht, ja die Pflicht, die Menschen in nächster Umgebung auf die drohende Gefahr hinzuweisen; und keineswegs nur darum, um von sich selber eine abzuwenden. Freilich galt es vorsichtig zu sein; und wenn Otto sich seine Verbündeten gesucht hatte, es war ihm, Robert, gewiß nicht verwehrt, das gleiche zu tun, ja, es war seine Pflicht und Schuldigkeit, vor allem um Ottos willen. Er dachte an Doktor Leinbach. Wurde auch dessen ärztliche Gediegenheit, vielleicht sogar die Schärfe seines Verstandes von manchen Fachleuten einigermaßen angezweifelt, er war Robert doch von Jugend auf verbunden, war ihm Freund, liebte ihn in seiner Weise. Und grade, daß er nicht beruflich begrenzt und sehr ferne davon war, ein Spezialist zu sein, machte ihn in diesem Falle zum unbestechlichsten Richter. Er, besser als jeder andere, würde die Eigentümlichkeit und Schwierigkeit von Roberts Lage zu erfassen imstande und am ehesten bereit sein, ihm helfend zur Seite zu stehen. Es war ja nicht notwendig, ihm sofort alles zu sagen, und man brauchte anfangs nicht weiterzugehen, als dringend geboten schien. So nahm sich Robert denn vor, schon am nächsten Tag mit Leinbach zu reden, sonst aber keinen Menschen, nicht einmal Paula, ins Geheimnis zu ziehen.
    Dieser Vorsatz beruhigte ihn so sehr, daß er seinem Spiegelbild zulächelte und dieses wieder ihm, was ihm trotz aller Selbstverständlichkeit wohl tat. Er verbrachte den Rest der Nacht in gutem Schlaf, fühlte sich am nächsten Morgen nahezu frisch, versah seine Amtsgeschäfte wie gewöhnlich, ja mit gesteigerter Freudigkeit, die seiner Stimmung noch weiter zugute kam, und als er am späten Nachmittag zu Paula ins Zimmer trat, so hätte dieser auch dann nichts Besonderes an ihm auffallen können, wenn sie nicht überdies durch wichtige Nachrichten abgelenkt gewesen wäre. Ihr Vater, so erzählte sie ihrem Verlobten, hatte vorläufig in einer italienischen Hafenstadt Aufenthalt genommen, wo er Nachrichten eines Jugendfreundes aus Amerika abwartete, um hiervon seine nächsten Entscheidungen abhängig zu machen. Die Möglichkeit einer neuen, und zwar einer journalistischen Laufbahn, schien sich ihm zu eröffnen. Und sein Brief gab Zeugnis von einer fast jugendlichen Hoffnungsfreudigkeit, ja von einer gewissen Reise- und Abenteuerlust, – eine Stimmung, die, wie Robert mit Verwunderung wahrnahm, der Gattin und der Tochter nicht nur verzeihlich, sondern vollkommen natürlich erschien. Robert entfernte sich bald, mit dem Bemerken, eine Zusammenkunft mit Leinbach verabredet zu haben, den er seit seiner Verlobung nicht gesehen habe.
    Er hatte den Freund ins Kaffeehaus beschieden, um sich bei dieser Gelegenheit auch den anderen Bekannten zu

Weitere Kostenlose Bücher