Erzählungen
keine Thorheiten, Lieutenant! Senden wir unseren Pferden einen letzten Gruß nach und dann vorwärts! Hier ist nicht gut sein, wenn der alte Berg da den Kopf schüttelt!«
Schweigend und mit großen Schritten eilten die beiden Spanier dahin und langten mitten in der Nacht in Cuernavaca an; es war ihnen jedoch unmöglich, sich Pferde zu verschaffen, und so machten sie sich am anderen Tage also zu Fuß auf den Weg nach dem Berge Popocatepelt.
V.
Von Cuernavaca nach dem Popocatepelt.
Die Temperatur sank immer mehr; jede Vegetation hörte auf. Diese unzugänglichen Höhen, die »kalten Landstriche« genannt, gehören vollständig der Eiszone an. Schon zeigten die Fichten der düsteren Regionen ihre starren Silhouetten zwischen den letzten Ketten dieser hohen Bergzüge, und immer seltener wurden die Quellen in diesen größtentheils aus rissigen Trachyten und porösen Mandelsteinen gebildeten Einöden.
Sechs starke Stunden lang schon schleppten sich der Lieutenant und sein Begleiter mühsam dahin, verletzten sich die Hände an den scharfen Kanten der Felsen und die Füße an den spitzigen Steinen des Weges. Bald zwang sie die Erschöpfung einmal zu ruhen. José machte etwas Nahrung zurecht.
»Ein verteufelter Einfall, nicht den gewöhnlichen Weg einzuschlagen!« sprach er halb für sich.
Beide hofften in Aracopistia, einem völlig in den Bergen verlorenen Dörfchen, irgend ein Transportmittel zu finden, um ihre Reise zu vollenden. Wie groß war aber ihre Enttäuschung, als sie auch hier nicht das Geringste fanden, denselben Mangel an Allem und noch dazu dieselbe widerwillige Gastfreundschaft, wie schon vorher in Cuernavaca. Und doch mußten sie ihr Ziel erreichen.
Martinez stürzte in den Abgrund. (S. 437.)
Jetzt erhob sich vor ihnen der ungeheure Gipfel des Popocatepelt zu einer solchen Höhe, daß der Blick sich in den Wolken verlor, wenn er nach der letzten Spitze suchte. Der Weg wurde zum Verzweifeln beschwerlich. Ueberall öffneten sich ungemessene Schluchten und schienen die schwindelnden Pfade unter den Tritten der Wanderer zu schwanken. Um sich zurecht zu finden, mußten sie einen 5400 Meter hohen Absatz des Berges ersteigen, der von den Indianern den Namen des »rauchenden Felsen« erhalten hat und noch die Spuren neuerer vulkanischer Explosionen zeigt. Dunkle Höhlen spalteten seine steilen Abhänge. Seit José’s letzter Reise hatten neue Umwälzungen dieses öde Terrain unter einander geworfen, so daß ihm Alles fremd erschien. Er verlief sich auch wiederholt auf den kaum erkennbaren Stegen, und blieb manchmal stehen, um zu lauschen, wenn sich in den Eingeweiden des Felsenriesen verdächtige Geräusche hören ließen.
Schon neigte sich merkbar die Sonne. Große nach dem Himmel zu zerrissene Wolken verdunkelten die Atmosphäre noch mehr. Es drohte mit Regen und Gewitter, welche Meteore in diesen die Verdunstung des Wassers begünstigenden Höhen nicht selten sind. Auf diesen Felsen verschwand überdies jede Spur von Vegetation, da dieselben schon in die Region des ewigen Schnees hineinreichten.
»Ich komme nicht mehr weiter! sagte endlich José und fiel vor Erschöpfung um.
– Immer vorwärts!« erwiderte Lieutenant Martinez mit fieberhafter Ungeduld.
Ein dumpfer entfernter Donner rollte durch die Schluchten des Popocatepelt.
»Ich will des Teufels sein, wenn ich diese Fußstege je wieder betrete! betheuerte José.
– Aber jetzt steh’ auf und beeile Dich!« mahnte ihn Martinez mit barscher Stimme.
Er zwang José, taumelnd weiter zu gehen.
»Und nicht eine menschliche Seele, die uns führen könnte! brummte der Mastwart.
– Desto besser, erwiderte der Lieutenant.
– Sie wissen jedenfalls nicht, daß in Mexico jährlich gegen tausend Mörder ihr Handwerk treiben, und daß diese Gegenden nicht gerade sicher sind.
– Desto besser!« lautete nochmals Martinez’ Antwort.
Große Regentropfen erglänzten, von dem letzten Schimmer des Tages beleuchtet, da und dort an den Felsen.
»Was werden wir zu Gesicht bekommen, wenn diese Berge hinter uns liegen? fragte der Lieutenant.
– Mexico zur Linken, Puebla zur Rechten, antwortete José, wenn wir überhaupt etwas sehen können. Doch das wird unmöglich sein. Es wird zu dunkel. Vor uns liegt auf der anderen Seite der Berg Icctacihualt und im Thale läuft die sehr gute Straße. Aber ob wir auch bis dahin kommen!
– Vorwärts, nicht zögern!«
José’s Angaben waren richtig. Das Plateau von Mexico ist in einem vierseitigen Rahmen
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