Erzählungen
drohenden Geberden begleitet und mit einer beispiellosen Heftigkeit geführt wurde. Eine Versammlung von Wahnsinnigen oder Besessenen, ein Club Rasender hätte nicht mit mehr Geschrei und Tumult tagen können.
Sobald die Kriegserklärung bekannt gemacht war, sammelte General Johann Orbideck seine Truppen, gleich 2393 Kämpfern auf eine Bevölkerung von 2393 Seelen. Weder Frauen, Greise noch Kinder wollten zurückbleiben, und jedes Schneide-oder Hiebwerkzeug in der Stadt war ihnen zur Waffe geworden. Alle Flinten waren sofort requirirt worden, und man hatte ihrer fünf ausfindig gemacht, von denen jedoch zweien die Hähne fehlten; sie wurden an die Avantgarde vertheilt. Die Artillerie bestand aus der alten Feldschlange des Schlosses, die im Jahre 1339 bei dem Angriff auf Quesnoy erobert, und seitdem, also in fünfhundert Jahren, nie wieder abgefeuert worden war. In der Weltgeschichte wird ihrer als einer der ersten Feuerwaffen Erwähnung gethan. Uebrigens waren, zum Glück für die Kanoniere, keine Projectile zum Schießen vorhanden, und so diente das alte Geschütz nur dazu, dem Feinde zu imponiren. Die scharfen Waffen hatte man aus dem Museum für Alterthümer hervorgeholt; es waren Aexte und Beile aus Kieselstein, Waffenhämmer, Franziskas, fränkische Lanzen, zweischneidige Beile, Partisanen, Raufdegen, und noch viele andere; aber auch aus den Privat-Zeughäusern, genannt Küchen und Werkstätten , wurde so manche Waffe entnommen, und mau hoffte, daß der Muth, das gute Recht, der Haß gegen den Fremdling und das Gefühl der Rache das ersetzen würden, was den Mordinstrumenten an Vollkommenheit abging; die Mitrailleusen und Hinterlader glaubte man so entbehren zu können.
Nun wurde eine Musterung vorgenommen, und es erwies sich, daß kein Bürger fehlte. General Orbideck, der auf seinem Pferde, einem etwas boshaften Thiere, saß, fiel zwar drei Mal im Angesicht des Heeres herunter, aber er stand immer wieder auf, ohne sich im geringsten verletzt zu haben, und dies wurde als sehr günstige Vorbedeutung angesehen. Der Bürgermeister, der Rath, der Civilcommissar, der Oberrichter, der Steuereinnehmer, der Banquier, der Rector, kurz alle Notabeln der Stadt marschirten an der Spitze, und weder von den Müttern noch von den Schwestern und Töchtern wurde eine einzige Thräne vergossen. Sie trieben ihre Gatten, Väter und Brüder nicht nur in den Kampf, sondern folgten ihnen sogar als Nachtrab unter dem Oberbefehl der muthigen Frau van Tricasse.
Die Trompete des Ausrufers Johann Mistrel ertönte; die Truppen setzten sich in Bewegung, ließen ein weithin schallendes wildes Kriegsgeschrei ertönen, und marschirten auf das Audenarder Thor zu.
………………………
In dem Augenblick, als die Spitze der Colonne die Mauern Quiquendone’s verlassen wollte, eilte ihnen laut schreiend ein Mann entgegen:
»Zurück! Zurück! Thut Euern Narrenstreichen Einhalt! rief er. Kommt wieder zu Euch, ich will den Hahn schließen! Ihr seid ja nicht blutdurstig und grausam, sondern gutmüthige, friedliche Bürger! Nur mein Herr, der Doctor Ox, ist Schuld daran, daß Ihr in diesen Zustand der Wuth gerathen seid; es ist Alles nur ein Experiment, das er unter dem Vorwand, eine Beleuchtung mit Oxyhydrogengas zu schaffen, mit Euch angestellt hat. Er hatte die Luft gesättigt…«
Der Famulus war außer sich; er wollte noch weiter sprechen, aber in demselben Augenblick, als das Geheimniß des Doctor Ox über seine Lippen kommen sollte, stürzte sein Herr in unbeschreiblichem Zorn auf den unglücklichen Ygen zu und schloß ihm den Mund mit Faustschlägen.
Es entwickelte sich eine Schlacht; der Bürgermeister, Rath Niklausse und die Notabeln der Stadt waren, als sie Ygen sahen, stehen geblieben, jetzt aber stürmten sie, von Erbitterung überwältigt, auf die beiden Fremden ein, ohne auf einen der Beiden zu hören.
Das ganze Heer lag auf dem Boden. (S. 82.)
Doctor Ox und sein Famulus wurden erbärmlich zerschlagen und zerzaust und sollten soeben auf Befehl des Bürgermeisters van Tricasse in das Arrestlocal abgeführt werden, als…
Fünfzehntes Capitel, in dem endlich die Lösung erfolgt.
… als plötzlich unter furchtbarem Donner eine Explosion erfolgte. Die ganze Atmosphäre in und um Quiquendone schien in Feuer zu stehen, und eine Flamme von wahrhaft phänomenaler Intensität und Lebhaftigkeit stieg wie ein Meteor bis zum Himmel empor. Wäre es Nacht gewesen, man hätte den Brand bis auf eine Entfernung von zehn Stunden
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