Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne

Vom Netzwerk:

mittels seiner Schwere in den unteren Luftschichten.
    Wenn man unter solchen Bedingungen lebt und dies Gas einathmet, das physiologisch den Körper ebenso umgestaltet wie den Geist, so stirbt man rasch wie jene Thoren, die in diesem Leben über alles Maß hinausgehen.
    Die Quiquendonianer konnten also von Glück sagen, daß eine weise Fügung die Explosion herbeiführte und so den gefährlichen Versuchen des Doctor Ox ein Ende machte.
    Um die Sache in möglichster Kürze zusammenzufassen und zum Abschluß zu bringen: Sollten denn Tugend, Muth, Talent, Phantasie und alle anderen Eigenschaften und Fähigkeiten des Geistes nur eine Oxygenfrage sein?
    Es ist das allerdings die Theorie des Doctor Ox, aber wir haben das Recht, sie anzuzweifeln, und was mich für meine Person betrifft, so weise ich ihre Glaubwürdigkeit ganz entschieden zurück – trotz der phantastischen Experimente, zu deren Schauplatz die ehrwürdige Stadt Quiquendone erkoren ward.

    Ende .

Jules Verne
Eine ideale Stadt 1
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    bitte erlauben Sie mir, alle Pflichten des Direktors der Akademie von Amiens beim Vorsitz der Jahresversammlung zu vernachlässigen und den gewohnten Vortrag durch die Erzählung eines Abenteuers zu ersetzen, das mir persönlich widerfahren ist. Ich möchte mich dafür im Voraus entschuldigen, nicht nur bei meinen Kollegen, die es mir nie an freundlichem Entgegenkommen haben fehlen lassen, sondern auch bei Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie in Ihren Erwartungen gehörig enttäuscht werden sollen.
    Anfang August wohnte ich der Preisverleihung am Städtischen Gymnasium bei. Dort habe ich unter der Führung des Professors Cartault, der unterdessen unser Kollege geworden ist, und ohne meinen Stuhl zu verlassen, einen Spaziergang durch das alte Amiens unternommen, das so wunderbar vom poetischen Zeichenstift der Duthoits 2 dargestellt worden ist. Mit diesem Streifzug durch das kleine industrielle Venedig, das die elf Arme der Somme im Norden der Stadt bilden, verbinde ich nur angenehme Erinnerungen. Ich kehrte heim zum Boulevard Longueville 3 , aß zu Abend, ging zu Bett, schlief ein.
    Bis hierhin gibt es nichts Ungewöhnliches zu vermelden und es ist anzunehmen, dass sich alle anständigen Leute auf diese Weise benommen haben, wie es sich gehört.
    Ich habe die Gewohnheit, morgens früh aufzustehen. Durch einen Umstand, den ich nicht zu erklären vermöchte, wachte ich am nächsten Tage erst sehr spät auf. Der Sonnenaufgang war mir zuvorgekommen. Ich musste also mindestens fünfzehn Stunden geschlafen haben! Wie war diese Verlängerung meines Schlafes zustande gekommen? Vor dem Zubettgehen hatte ich keinerlei Schlafmittel eingenommen! Ebensowenig waren mir die Augen über der Lektüre irgendeiner offiziellen Ansprache zugefallen! …
    Wie dem auch sein mochte, als ich mein Bett verließ, stand die Sonne bereits im Zenit. Ich öffnete das Fenster. Es war schönes Wetter. Ich dachte, es sei Mittwoch! … Offensichtlich war es aber Sonntag, denn die Boulevards waren voll mit Spaziergängern. Ich kleidete mich an, speiste schleunigst zu Mittag und ging auf die Straße.
    An diesem Tage, meine Damen und Herren, sollte ich »von Überraschung zu Überraschung marschieren«, um an eines der raren Wortspiele Napoleons I. zu erinnern. 4
    Doch urteilen Sie selbst.
    Kaum hatte ich den Fuß auf den Bürgersteig gesetzt, wurde ich von einer Horde junger Bengel überfallen, die schrien: »Das Programm zum Wettbewerb! Fünfzehn Centimes! Wer will ein Programm?«
    »Ich«, rief ich, ohne zu überlegen, ob diese Investition ihren Preis auch wert war.
    Am Vortag hatte ich nämlich gerade dem Steuereintreiber meine Kopf-und Vermögenssteuer entrichtet. Und wie vielen anderen wird mir soviel auf meinen Kopf und Besitz angerechnet, dass der Preis dieses Programms ganz dazu angetan war, meinen Ruin zu vollenden.
    »Ach ja«, wandte ich mich an einen der jungen Burschen, die um mich herum standen, »um was für einen Wettbewerb geht es denn überhaupt?«
    »Um den Regionalwettbewerb, mein Prinz!« antwortete mir einer von ihnen. »Heute ist der Abschlusstag!«
    Und daraufhin machte sich die ganze Bande aus dem Staube.
    Da blieb ich also allein mit meiner Prinzenschaft, die mich immerhin nur fünfzehn Centimes gekostet hatte.
    Aber was für ein Regionalwettbewerb mochte das sein? Wenn mich meine Erinnerung nicht täuschte, musste der bereits seit zwei Monaten vorbei sein! Offenbar hatte sich der Bengel über mich