Erzählungen
für eine Zeitlang entziehen.
Selbstverständlich war die Fee Firmenta ein guter Geist, und noch nie hatte sich jemand über sie beklagen müssen.
Eines schönes Morgens befand sie sich im Speisesaal ihres Palastes – eines mit herrlichen Wandteppichen und wunderbaren Blumen geschmückten Raumes. Die Sonnenstrahlen schlichen sich durch das Fenster ein, warfen hier und da leuchtende Flecken auf Porzellan und Silberzeug, das auf dem Tisch stand.
Die Kammerzofe hatte ihrer Herrin gerade mitgeteilt, daß das Frühstück angerichtet sei – ein köstliches Frühstück, auf das die Feen schon ein Anrecht haben, ohne daß man sie deshalb der Naschhaftigkeit bezichtigen darf. Kaum aber hatte sich die Fee gesetzt, als es an die Tür des Palastes klopfte.
Sofort ging die Zofe öffnen, und einen Moment darauf richtete sie der Fee aus, daß ein schöner Jüngling sie zu sprechen wünsche.
»Laß den schönen Jüngling eintreten«, antwortete Firmenta.
Schön, das war er in der Tat, überdurchschnittlich groß, mit gutem und sogar mutigem Gesichtsausdruck und zweiundzwanzig Jahre alt. Er war sehr einfach gekleidet und von anmutigem Auftreten.
Die Fee hatte gleich einen guten Eindruck von ihm gewonnen. Sie dachte, daß er wie viele andere, die in ihrer Schuld standen, gekommen sei, um sie um eine Gefälligkeit zu bitten, und sie fühlte sich gewogen, ihm die zu erweisen.
»Was verlangt Ihr von mir, schöner Jüngling?« fragte sie mit ihrer sanftesten Stimme. »Habt keine Angst, zu mir zu sprechen.«
»Gute Fee«, antwortete er, »ich bin sehr unglücklich und habe keine andere Hoffnung mehr als Euch!«
Und als er schwieg, begann Firmenta von neuem:
»Sprecht Euch aus, schöner Jüngling. Wie lautet Euer Name?«
»Ich heiße Ratin«, antwortete er. »Ich bin nicht reich, aber es ist auch nicht Reichtum, um den ich Euch bitten möchte. Nein! Es ist das Glück.«
»Und Ihr meint, das eine gehe ohne das andere?« entgegnete Firmenta lächelnd. »Das meine ich.«
»Und recht habt Ihr. Sprecht weiter, schöner Jüngling.«
»Es ist einige Zeit her«, fuhr er fort, »da war ich, bevor ich zum Menschen wurde, eine Ratte, und als solche in einer hervorragenden Familie aufgenommen worden, zu der ich die süßesten Bande zu knüpfen gedachte. Ich gefiel dem Vater, der eine Ratte voll von gesundem Menschenverstand ist. Vielleicht war mir die etwas ehrgeizige Mutter weniger gewogen, weil ich nicht reich bin. Aber ihre Tochter Ratine hatte mir ihr Herz geschenkt! … Am Ende hatte man sich wohl mit mir abgefunden, als ein großes Unglück all meine Hoffnungen zunichte machte!«
»Was ist denn passiert?« verlangte die Fee mit lebhaftem Interesse zu wissen.
»Zunächst einmal bin ich Mensch geworden, während meine Ratine Rättin blieb!«
»Na«, antwortete Firmenta, »dann wartet ab, bis die letzte Umwandlung aus ihr ein junges Mädchen gemacht haben wird …«
»Gewiß, gute Fee! Leider war Ratine ebenfalls einem mächtigen Edelmann aufgefallen, der Königssohn sein könnte. Gewohnt, seine Launen stets zu befriedigen, duldet er nicht den geringsten Widerstand. Alles soll sich seinem Willen beugen!«
»Und wer war dieser Edelmann?« fragte die Fee.
»Es war der Prinz Kissador. Er bot meiner lieben Ratine an, sie auf sein Schloß mitzunehmen, wo sie, wie er sagte, die glücklichste Rättin sein würde. Sie weigerte sich, obwohl sich ihre Mutter Ratonne von dem Anerbieten sehr geschmeichelt fühlte. Der Prinz versuchte sodann, sie zu hohem Preise zu kaufen; aber der Vater Raton wußte gut, wie sehr mich seine Tochter liebt, und daß ich vor Schmerz sterben würde, wenn man uns trennte, und er wollte nicht einwilligen. Ich verzichte darauf, Euch die Wut des Prinzen Kissador auszumalen. Wenn Ratine so schön als Rättin war, sagte er sich, dann müsse sie als junges Mädchen noch schöner sein. Ja, gute Fee, noch schöner! Und er würde sie heiraten! … Das war trefflich ausgedacht für ihn, aber für uns ein großes Unglück!«
»Wahrlich«, antwortete die Fee, »aber da dem Prinzen einmal ein Korb gegeben wurde, was habt Ihr noch zu fürchten? …«
»Alles«, entgegnete Ratin, »denn um an sein Ziel zu gelangen, hat er sich an Gardafur gewandt …«
»An diesen Zauberer«, rief Firmenta aus, »jenen bösen Geist, der nur Spaß daran findet, Übel anzurichten, und mit dem ich ständig in Fehde liege? …«
»An eben jenen, gute Fee!«
»Diesen Gardafur, dessen fürchterliche Macht nichts anderes versucht,
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