Erzählungen
lieber Ratin, ich habe alles gehört, was du gerade der guten Frau Fee gesagt hast, und Ihr, Frau Fee, wart so gütig zu versprechen, all das Unheil, das uns der niederträchtige Gardafur zugefügt hat, wieder in Ordnung zu bringen! Oh, verlaßt mich nicht, denn wenn er mich in eine Auster verwandelt hat, dann deshalb, damit ich nicht mehr fliehen kann! Dann wird der Prinz Kissador kommen, um mich von der Bank abzulösen, auf der meine Familie festklebt; er wird mich mitnehmen, er wird mich in seinen Fischteich setzen, und ich werde auf immer für meinen armen lieben Ratin verloren sein!«
Ihre Stimme klang so traurig, daß der junge Mann tief erschüttert kaum etwas zu entgegnen vermochte:
»Oh, meine Ratine!« murmelte er.
Und in einem Schwung zärtlicher Liebe streckte er ihr seine Hand entgegen, aber da hielt ihn die Fee zurück. Und nachdem sie vorsichtig eine Perle herausgenommen, die sich am Grunde der Muschelschale gebildet hatte, sagte sie ihm:
»Nimm diese Perle.«
»Diese Perle, gute Fee?«
»Ja, sie ist ein großes Vermögen wert. Das kann dir später einmal nützlich sein. Nun werden wir Ratine wieder zur Bank von Samobrives zurückbringen, und dort lasse ich sie eine Stufe höher steigen …«
»Nicht allein, gute Fee«, bat Ratine beschwörend. »Denkt an meinen guten Vater Raton, meine gute Mutter Ratonne, an meinen Vetter Raté! Denkt an unsere treuen Diener Rata und Ratane! …«
Aber während sie so sprach, schlössen sich die Muschelschalen langsam wieder und nahmen ihre gewöhnlichen Ausmaße an.
»Ratine!« rief der Jüngling.
»Nimm sie mit!« sagte die Fee.
Und nachdem er sie hochgehoben, preßte Ratin die Muschel an seine Lippen. Umschloß sie nicht, was ihm das Teuerste war auf Erden?
III
Das Meer steht tief. Sanft schlägt die Brandung auf den Fuß der Bank von Samobrives. Da liegen Wasserpfützen zwischen den Felsen. Der Granit glänzt wie poliertes Ebenholz. Man stakst über glitschigen Tang, dessen Schoten beim Zerplatzen kleine Fontänen verspritzen. Aufpassen muß man, um nicht auszugleiten, denn ein Sturz wäre schmerzvoll. Welche Menge an Mollusken auf dieser Bank: gemeine Strandschnecken, die wie dicke Landschnecken aussehen, Miesmuscheln, Venusmuscheln, Mackeln und vor allem Austern, zu Tausenden!
Ein halbes Dutzend der schönsten versteckt sich unter den Seepflanzen. Ich habe mich verzählt: es sind nur fünf. Der Platz der sechsten ist unbesetzt!
Da öffnen sich gerade die Austern unter den Sonnenstrahlen, um die frische Meeresbrise einzuatmen. Gleichzeitig entringt sich ihnen ein seltsamer Gesang, klagend wie die Litanei der Karwoche.
Die Deckel dieser Weichtiere haben sich langsam gespreizt. Zwischen ihren durchsichtigen Säumen zeichnen sich ein paar Gesichter ab, die man leicht wiedererkennt. Das eine gehört Raton, dem Vater, einem Philosophen und Weisen, der das Leben in all seinen Erscheinungsweisen hinzunehmen weiß.
»Sicher«, denkt er bei sich, »wieder Molluske zu werden, wenn man schon mal Ratte war, das ist doch einigermaßen unerfreulich. Aber man muß sich darein schicken und die Dinge nehmen, wie sie nun einmal sind!«
In der zweiten Auster schneidet ein verdrossenes Gesicht Grimassen und schickt mit seinen Augen wütende Blitze aus. Vergeblich versucht es, sich aus seiner Schale herauszuwinden! Madame Ratonne ist das, und sie sagt:
»Mich in dieses Muschelschalengefängnis einzuschließen, mich, die ich in unserer Stadt Rattopolis den ersten Rang eingenommen habe! Mich, die ich in der menschlichen Phase Edeldame geworden wäre, Prinzessin … vielleicht! … Ahrr! elender Gardafur!«
In der dritten Auster zeigt sich das dümmliche Gesicht von Vetter Raté, einem freimütigen Tölpel, der ziemlich feige ist und beim mindesten Geräusch seine Ohren aufrichtet wie ein Hase. Ihr sollt wissen, daß er in seiner Eigenschaft als Vetter selbstverständlich seiner Base den Hof machte. Ratine aber, das ist nun bekannt, liebte einen anderen, und auf diesen anderen war Raté aus vollem Herzen eifersüchtig.
»Ach!« machte er, »ach, von zwei Muschelschalen plattgedrückt zu werden, welches Schicksal! Als ich Ratte war, konnte ich wenigstens rennen, weglaufen, den Katzen und Rattenfallen aus dem Wege gehen! Aber hier genügt es, daß man mich mit einem Dutzend meinesgleichen einsammelt, und das grobschlächtige Messer einer Austernhändlerin wird mich rücksichtslos öffnen, und ich habe meinen Auftritt auf dem Tisch eines Reichen, und werde
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