Erzählungen
dann verschlungen … lebend vielleicht!«
In der vierten Auster steckte der Koch Rata, ein Meister seines Fachs, der sehr stolz auf seine Fähigkeiten und sehr eingenommen vom eigenen Wissen war.
»Verdammter Gardafur!« rief er aus. »Wenn ich ihn jemals in meiner Hand halten sollte, dann werde ich ihm mit der anderen den Hals umdrehen! Ich, Rata, der so wunderbare Gerichte zustande bringen konnte, daß ihnen mein Name geblieben ist, ausgerechnet ich – eingeklebt zwischen zwei Muscheldeckeln! Und meine Frau Ratane …«
»Ich bin hier«, meldete sich eine Stimme, die aus der fünften Auster kam. »Gräme dich nicht, mein armer Rata! Kann ich auch nicht näher zu dir rücken, bin ich nichtsdestoweniger an deiner Seite, und wenn du die Entwicklungsleiter wieder hochsteigst, dann steigen wir sie zusammen hoch!«
Gute Ratane! Ein rundes Dickerchen, einfach, bescheiden, in großer Liebe dem Gatten zugetan und wie dieser ganz den Herrschaften ergeben.
Und dann begann die traurige Litanei in düsterer Tonart von neuem. Einige Hundert vom Glück verlassener und ihrerseits der Erlösung harrender Austern schlössen sich dem Klagekonzert an. Das schnürte euch das Herz zu! Und welch ein Übermaß an Schmerz für Raton, den Vater, und Madame Ratonne, hätten sie gewußt, daß ihre Tochter nicht mehr unter ihnen war!
Plötzlich verstummte alles. Die Muscheldeckel schlossen sich wieder.
Gardafur hatte gerade den Strand erreicht; in sein langes Zaubergewand gehüllt und mit seiner sattsam bekannten Mütze auf dem Kopf, lehrte einem sein bösartiger Gesichtsausdruck das Fürchten. Gleich neben ihm marschierte der reichbekleidete Prinz Kissador. Man wird sich nur schwer vorstellen können, in welchem Maße dieser hohe Herr von seiner Person eingenommen war, und auf wie lächerliche Weise er sich die Hüften verrenkte, um anmutig zu wirken.
»Wo sind wir?« fragte er.
»Auf der Bank von Samobrives, mein Prinz«, antwortete Gardafur kriecherisch.
»Und diese Familie Raton? …«
»Immer noch an der Stelle, wo ich sie Euch zu Gefallen eingekrustet habe!«
»Ach, Gardafur«, fuhr der Prinz fort und zwirbelte dabei seinen Schnurrbart, »diese kleine Ratine! Ich bin verzaubert von ihr! Sie muß mir gehören! Ich bezahle dich für deine Dienste, und wenn du keinen Erfolg hast, sei auf der Hut! …«
»Prinz«, antwortete Gardafur, »wenn ich die ganze Rattenfamilie auch in Mollusken verwandeln konnte, ehe mir meine Macht entzogen wurde, so hätte ich aus ihnen doch keine Menschenwesen machen können. Über diese Macht verfügt nur die Fee Firmenta! …«
»Und weshalb, Gardafur, weshalb hast du dich nicht mit ihr zusammengetan?«
»Ich hab es ihr vielemal angeboten, mein Prinz. Zusammen wären wir beide die Beherrscher der Welt geworden! … Sie hat mich zurückgewiesen!«
»Nichtsnutz!« schimpfte der Prinz, dessen Dünkel ohnegleichen war. »Ich – ich hätte es ihr schon gezeigt! Schluß jetzt, wo ist die Auster der kleinen Närrin?«
Eben hatten die beiden ihren Fuß auf die Bank gesetzt, um sich zu der Stelle zu begeben, wo Gardafur Ratine zu finden glaubte, als auf der anderen Seite des Strandes zwei weitere Personen auftauchten.
Es waren die Fee Firmenta und der junge Ratin. Auf seinem Herzen preßte jener die Doppelschale, die seine Geliebte umschloß.
Plötzlich erblickten sie Prinz und Zauberer. Der junge Mann erbleichte.
»Gardafur«, sprach die Fee, »was hast du hier vor? Wieder mal ein schandhaftes Machwerk vorbereiten?«
»Firmenta«, entgegnete der Zauberer, »warum hast du dich geweigert, deine Macht mit meiner zu vereinen? …«
»Der Geist des Guten vereint mit dem Geist des Bösen? Niemals!«
»Firmenta«, sagte darauf der Prinz Kissador, »du weißt, ich bin versessen auf die hinreißende Ratine, die unvorsichtig genug war, einen Edelmann meines Schlages zurückzuweisen, und die so ungeduldig der Stunde harrt, da du sie zum jungen Mädchen machst.«
»Wenn ich sie in ein junges Mädchen verwandle«, antwortete Firmenta, »dann um sie dem zu geben, den sie vorzieht.«
»Diesem Flegel!« erwiderte der Prinz. »Diesem Ratin, aus dem Gardafur im Handumdrehen einen Esel machen wird, sobald ich ihm erst die Ohren langgezogen habe!«
Bei dieser Beleidigung sprang der junge Mann auf. Er wollte sich auf den Prinzen stürzen, um ihn für seine Unverschämtheit zur Rechenschaft zu ziehen, doch die Fee ergriff ihn bei der Hand.
»Zügle deinen Zorn«, sagte sie ihm. »Die Zeit der Rache ist noch
Weitere Kostenlose Bücher