Erzählungen
nicht gekommen, aber eines Tages werden sich die Beleidigungen des Prinzen gegen ihn wenden. Tu, was du zu machen hast, und laß uns gehen.«
Ratin gehorchte, und nachdem er sie ein letztesmal an seine Lippen gedrückt hatte, legte er die Auster an die Stelle, die sie zuvor eingenommen hatte, zurück in die Mitte ihrer Familie. Dann gingen die Fee und er fort.
Aber dem Prinzen Kissador und dem Zauberer Gardafur war nicht entgangen, was da eben passiert war. Es wäre ihnen ein leichtes gewesen, sich Ratines zu bemächtigen, wenn in diesem Moment nicht die Flut begonnen hätte, die Bank von Samobrives zuzudecken. Alle beide hatten gerade noch Zeit, sich selbst in Sicherheit zu bringen.
Bald hatte das Wasser die letzten Spitzen erfaßt, und alles verschwand bis zum Horizont in der weiten See, deren Kontur sich mit der des Himmels vermengte.
IV
Einige höherragende Felsen zur rechten Seite sind allerdings unbedeckt geblieben. Die Flut wird ihre Gipfel nicht erreichen können, selbst wenn der Sturm seine Wogen an die Küste wirft.
Hierhin haben sich Prinz und Zauberer geflüchtet. Hier bedroht sie keine Gefahr. Wenn sie weiter hochsteigen, können sie immer noch das Festland erreichen. Sobald die Bank trocken ist, werden sie sich die kostbare Auster holen, die Ratine birgt, und sie mitnehmen.
Der Prinz ist allerdings wütend. So mächtig die Prinzen und selbst die Könige auch waren, gegen die Feen vermochten sie damals doch nichts auszurichten, und uns erginge es ebenso, wenn wir jemals in diese glückliche Zeit zurückkehren würden.
Doch da erscheinen die Fee und der junge Ratin wieder am Saume des Strandes. Schnell verstecken sich der Prinz Kissador und Gardafur, um sie zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Das sollte sich zunächst als eine gute, dann aber als eine schlechte Idee erweisen; wir werden es noch sehen.
Der Jüngling hielt sich an der Seite der Fee Firmenta, die zu ihm sprach:
»Jetzt, da das Meer hoch steht, werden Raton und die Seinen eine Stufe der Menschlichkeit näherrücken. Aus Weichtieren werde ich sie zu Fischen machen, und in dieser Gestalt haben sie nichts mehr von ihren Feinden zu fürchten.«
»Auch nicht, wenn man nach ihnen fischt? …« gab Ratin zu bedenken.
»Sei unbesorgt, ich werde über sie wachen.«
Unglücklicherweise hatte Gardafur die Fee gehört und sich einen Plan zurechtgelegt.
»Folgt mir, mein Prinz«, sagte er und begab sich aufs Festland. Der Prinz Kissador folgte, von Ungeduld verzehrt.
Da richtete die Fee ihren Zauberstab auf die unter dem Wasser versteckte Bank von Samobrives. Die Austern der Familie Raton öffneten sich. Heraus kamen zappelnde Fische, die sich über diese neue Verwandlung freuten.
Raton, der Vater – ein aufrechter und würdiger Steinbutt mit Knötchen auf der bräunlichen Flanke, der euch, wenn er nicht ein menschliches Antlitz gehabt, mit seinen zwei großen auf der linken Seite angeordneten Augen angeschaut hätte.
Madame Ratonne – ein Drachenkopf mit starkem Stachel auf seinem Kiemendeckel und spitzen Dornen auf der ersten Rückenflosse, überdies sehr schön durch seine changierenden Farben.
Fräulein Ratine – ein hübscher und eleganter Goldfisch, fast durchsichtig und sehr anziehend in seinem Kleid aus Schwarz, Gold und Azur.
Rata – ein wilder Meerhecht mit länglichem Körper, einem von Auge zu Auge gezogenen Maul, spitzen Zähnen, mit wütender Miene wie ein Hai im Kleinformat, und von überraschender Freßgier.
Ratane – eine dicke lachsartige Forelle mit Pfauenaugen, zinnoberroter Färbung, zwei auf silbernem Schuppengrund gemalten Halbmonden, die dem Tisch eines Feinschmeckers alle Ehre gemacht hätte.
Schließlich Vetter Raté – ein Wittling mit grünlich-grauem Rücken. Aber durch eine Laune der Natur oder vielleicht durch eine Gemeinheit von Gardafur ist er nur zur Hälfte Fisch geworden! Jawohl – sein äußerstes Körperende wird, statt auf einen Schwanz hinauszulaufen, noch von zwei Austernschalen umschlossen! Ist das nicht der Gipfel des Lächerlichen? Armer Vetter!
Und alle, Wittling, Forelle, Hecht, Goldfisch, Drachenkopf und Steinbutt, haben sich im klaren Wasser aneinandergereiht, am Fuße jenes Felsens, auf dem Firmenta ihren Zauberstab geschwungen hatte, und schienen sagen zu wollen:
»Danke, gute Fee, Dank!«
V
Auf diese Gelegenheit hatte Gardafur nur gewartet, um seine gemeinen Pläne in die Tat umzusetzen. Schon zeichnet sich eine vom Meere herannahende Masse immer klarer ab.
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