Erzählungen
nicht mit den englischen Schlössern kommen sollen... Da meldete sich eine ängstliche Stimme am Apparat, und Schwester Klara konnte sich nach der Stimme den Mann vorstellen: korrekt, devot und die ständige Furcht in den Knochen, in dieser Krisenzeit durch eine Komplikation die Stelle zu verlieren. Es geschah wohl nicht oft, dass ein Kellner ans Telephon gerufen wurde, von auswärts noch.
»Ja, ja hier Frutiger Eugen...« Wie musste der Mann verlegen sein, dass er den Vornamen nachstellte, wie ein Bauernknecht!
»Guten Tag, Herr Frutiger. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie mir sagen können, wo sich Ihr Freund Armstrong augenblicklich aufhält...«
»Armstrong? Tut mir leid. Kenne ich nicht.«
»Hier spricht die Oberschwester vom Gemeindespital. Sie haben doch dem Herrn Armstrong«, Schwester Klara betontedas »Herr«, »hierher zweihundert Franken geschickt, und da sagen Sie, Sie kennen ihn nicht?«
»Ach, so, ja, Verzeihung, pardon, ich hatte den Namen nicht verstanden. Ja, Armstrong, ganz recht. Aber ich weiss nichts. Hat er etwas... etwas... wieder etwas...?«
»Beruhigen Sie sich, er hat nichts angestellt. Aber er hat uns etwas plötzlich verlassen, und er war noch nicht ganz geheilt, und darum hätte ich ihm gern geschrieben, und er hat einiges bei uns vergessen, was ich ihm nachschicken sollte...«
Jetzt war es Schwester Klaras Stimme, die nicht mehr ganz sicher klang. Der Maître d'Hôtel schien es zu merken, seine Stimme wurde fester.
»Leider weiss ich nichts von ihm. Auch seine Adresse nicht. Aber ich möchte Sie gerne... gerne... warnen, er ist ein guter Mensch, aber gefährlich für... Sie entschuldigen... für Frauen...«
»Danke«, sagte Schwester Klara trocken, »ich bin mündig. Also Sie wissen nichts? Dann entschuldigen Sie die Störung, guten Tag.«
Gefährlich für Frauen? Der Mann mit dem durchweichten Mantel und der grauen Schmetterlingsschleife mit den roten Tupfen?... Zwar gab es da noch den späten Februarnachmittag mit der Sonne, die warm und ermüdend schien, und dem gelben Staub des Haselbaums. Er hatte doch kein Geld gewollt... Was trieb er jetzt?... Die fremde Welt, aus der der Mann gekommen, war doch merkwürdig anziehend. Er hatte so gar nichts aus dieser Welt erzählt! Und die Schlösser in England! Er hatte einen Freund, der Kellner war...
Übrigens, diese Idee mit dem Sanatorium, die war gar nicht so dumm. Wenn man sich den Mann Armstrong vorstellte als Empfangschef etwa... Gut angezogen, würde er vertrauenerweckend aussehen mit seinem weissen Haar, in der letzten Zeit hatte er seine Nägel gepflegt, er hatte schöne Hände... Schwester Klara betrachtete ihre Hand, die rot war, wie gepolstert. Aber hatte sie der Mann nichtgeküsst? Und manchmal war der Kuss respektvoll zärtlich – zärtlich, ja. Man hatte wenig Erfahrung in Zärtlichkeiten...
Wachtmeister Studer von der Kantonspolizei hatte einen kleinen Spitzbart und den Ansatz zu einem Kropf. Sonst war sein Gesicht sanft gerötet und durchaus vertrauenerweckend. Als Schwester Klara vor ihm stand, fühlte sie Vertrauen zu dem kleinen dicken Mann und sagte zielbewusst: »Ich möchte Auskunft über einen gewissen Louis Armstrong.«
»Haha«, sagte der Wachtmeister, er sprach die beiden Laute, er lachte sie nicht, »sind Sie ihm auf den Leim gegangen, Schwester? Aber sitzen Sie ab. Ich will Sie nicht beleidigen. Erzählen Sie ...«
»Sie sollen erzählen, nicht ich«, sagte Schwester Klara. »Ja, der Armbruster«, sagte Studer. »Zechprellerei, Heiratsschwindel, Hochstapelei, Betrug, Unterschlagung, aber vor allem, als Spezialität ist er Heiratsschwindler.«
»Heiratsschwindler?« fragte die Schwester zurück. Und dann, sie wusste selbst nicht, wie die Behauptung über ihre Lippen kam, die im Gegensatz stand zu ihrem Denken, zu ihrem Leben – wollte sie dem Wachtmeister imponieren, oder hatte auch auf sie der auflockernde Einfluss des Mannes Armstrong gewirkt? –, kurz, Schwester Klara sagte trocken und überzeugt: »Nun, dann wird er wahrscheinlich die Frauen gut behandeln – mit seiner Erfahrung!«
Wachtmeister Studer schwieg. Die runzligen Oberlider verbargen seine Augen fast vollständig. Dann lachte er: »Auch ein Standpunkt. Übrigens, er ist kein übler Kerl. Ich verdanke ihm eine nette Reise. Einmal habe ich ihn von Calais abholen müssen, er erzählt gut, ich hab' mich nicht gelangweilt mit ihm. In England war er während des ganzen Weltkrieges. Er hat sicher auch dort geschwindelt, wenigstens hab' ich
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