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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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für Sie bestimmt, Sie werden ihn brauchen, darf ich Sie bitten, mir einen kleinen Schluck zurückzulassen, ich habe nämlich Angst, dass der Wein mich sonst ganz schläfrig macht.
    Darf ich Sie vielleicht noch um mein Zigarettenetui bitten, es liegt dort neben Ihnen, Ihre Trabanten haben es mir abgenommen, als ob es eine gefährliche Waffe enthielte. Haha... Was soll auch in einem Zigarettenetui anders sein als Rauchware, oder? Haben Ihre Leute vielleicht geglaubt, ich hätte Dynamit darin?
    Sie haben ganz recht, Herr Untersuchungsrichter, wir wollen ernsthaft bleiben. Genug gelacht. Ich bin Ihnen noch die Geschichte meines Abenteuers schuldig. Erlauben Sie nur noch eins, wie ist Ihr werter Name? Vielleicht ist meine Frage nicht passend, die Verbrecher, die Sie sonst auszufragen pflegen, kennen Sie wahrscheinlich schon, vielleicht sind Sie in Ihrem Fach eine Berühmtheit, aber Sie müssen bedenken, ich bin in Justizsachen, besonders in Strafsachen (das Zivilprozessrecht beherrsche ich gut), ein ziemlicher Laie. Nur aus dem, was man so auf der Bahn liest, aus Kriminalromanen, Detektivgeschichten, habe ich meine kriminologische Weisheit geschöpft. Sie sehen also, es ist nicht weit her mit ihr... Also, wie bitte?... Schaffroth? Ein sonderbarer Name, erweckt die Assoziation an Schafott, finden Sie nicht auch?
    Nun meine Geschichte: Ich wollte also mit dem Nachtschnellzug nach Italien. Im Flugzeug werde ich krank, das Auto konnte ich in dieser Jahreszeit nicht gebrauchen, die Strassen sind schlecht, und die Pässe sind eingeschneit. Also nahm ich lieber ein Billett zweiter Klasse. Ich bin anspruchslos. Sonst fahre ich immer dritter: Denn ich bin im Grunde meines Wesens Demokrat, wissen Sie. Nur füreine Nachtfahrt musste ich wohl zweite Klasse nehmen, sonst kommt man müde an.
    Gewiss, ich hätte Schlafwagen nehmen sollen... Aber was wollen Sie, in dieser Krisenzeit, man muss sparen... Ja, das Geschäft in Italien war wichtig, es erforderte meine Anwesenheit, sonst hätte ich sicher einen Vertreter hingeschickt. Meine Frau hatte mich bis an den Bahnhof begleitet, wir haben in der Stadt noch zu Nacht gegessen.
    Ja, meine Frau ist bedeutend jünger als ich. Sie sehen ja selbst, meine Schläfen sind grau, ich werde wohl etwa im gleichen Alter sein wie Sie, Herr... äh... wie war doch Ihr Name?... etwas mit Schafott... nein, nicht Schafott... nun, es fällt mir nicht ein, ist ja auch gleichgültig, also, wie Sie, Herr Untersuchungsrichter... Richtig, Herr Schaffroth...
    Eine Liebesheirat. Meine Frau ist neunundzwanzig Jahre alt, aber sie sieht aus wie neunzehnjährig, ein junges Mädchen. Natürlich, sie schminkt sich, und das wird wohl auch etwas ausmachen. Wir führen die harmonischste Ehe, die Sie sich denken können, nie haben wir Streit. Und ein fünfjähriges Kind haben wir auch, einen Knaben, Lovis heisst er. Der Name hat mir gefallen. Vielleicht wird er einmal ein Künstler... obwohl die Kunst heutzutage... Was wollen Sie, ich lese gern, habe auch eine schöne Sammlung, Stiche nur, ein paar Whistler Probedrucke, ich sage Ihnen, Perlen!
    Was Sie nicht sagen? Sie sammeln auch? Dann müssen Sie mir die Freude machen, mich einmal besuchen zu kommen, Sie können gut über Nacht bleiben, ich lasse Sie mit dem Wagen abholen. Keinen Protest, Herr Untersuchungsrichter, ich muss mich doch für Ihre Freundlichkeit erkenntlich zeigen; und meine Frau wird sich so freuen! Sie ist sehr gastfreundlich, wie ich auch, und welch grössere Freude haben wir denn auf der Welt, als gute Freunde bei uns zu sehen?
    Meine Frau begleitete mich also auf den Bahnhof. Es regnete. Wissen Sie, so dieser richtige Novemberregen, derauch noch jetzt gegen die Scheiben klatscht. Ich finde ein leeres Coupé, suche nach dem Zugführer, drücke ihm einen Fünfliber in die Hand und verspreche ihm noch einmal so viel, wenn ich bis zum Morgen allein bleibe. Ich habe das Glück gehabt, auf einen anständigen Kerl zu fallen, der das Leben versteht, er hat das Geld verschwinden lassen, wie ein Zauberkünstler, und dann hat er salutiert, als ob ich wenigstens Chef im Generalstab wäre. Meine Frau war mit eingestiegen, wir bummeln den Gang entlang. Da fällt mir ein Herr auf, auch er sitzt in einem leeren Coupé, vom Gesicht war nichts zu sehen, das war hinter einer Zeitung verborgen. Ich sage noch zu meiner Frau: »Irene«, sage ich, »der Mann kommt mir so merkwürdig vor, ganz als ob er sich vor der Polizei verstecken wolle.« Vielleicht wollte er wirklich

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