Erzählungen
von einer reichen Witwe gehört, der er ... Aber dann hat er, glaub' ich, noch Spionage getrieben, darum hat man ihn in Ruhe gelassen ... Kurz, was ich Ihnen habe erzählen wollen, es zeichnet ihn gut:In Basel sagt er mir, er wolle noch seine Schwester besuchen. In der Steinenvorstadt hat sie gewohnt. Ich bin mitgegangen. Die Schwester war verheiratet, der Mann im Büro. Ich hab' natürlich nicht gesagt, wer ich bin. Die beiden Geschwister reden zusammen, eine Viertelstunde lang, es wird langweilig, der Armbruster verabschiedet sich. Da kommt im letzten Moment der Sohn der Schwester ins Zimmer, ein kleiner Bub, sechsjährig etwa. Mein Armbruster legt dem Bübli die Hand auf den Kopf und sagt mit tönender Stimme: ›Ja, Albertli, für dich hat der Onkel gesorgt. Dein Vermögen liegt auf der Bank, du wirst keine Not leiden ...‹ Und dabei hatte ich das Portemonnaie des Armbruster im Sack. Zwei Schilling und drei französische Franken.«
»Und was hat er seither gemacht?«
»Auslandreisen und Rundfahrten durch die Schweiz. Reiche Witwen, Schauspielerinnen, Lehrerinnen – immer Niveau. Nie Dienstmädchen. Aber was er jetzt tut? Wo er ist? Ich weiss es nicht ...«
Schwester Klara bedankte sich für die Auskunft und ging. Die Art, wie Entscheidungen im Innern eines Menschen gefällt werden, wird für uns, die nicht in ihn hineinblicken können, stets rätselhaft bleiben. Die sogenannte Psychologie ist ein recht nettes Gesellschaftsspiel – es gibt sogar Leute, die eine Wissenschaft in ihr sehen wollen, wir wollen ihnen die Freude lassen. Tatsache ist wohl, dass es im Leben vieler Menschen sogenannte Krisen gibt, in denen sie so merkwürdig handeln, dass die Aussenstehenden jene Menschen für verrückt halten. Und doch ist die Sache, wenn man sie mit der notwendigen Ehrfurcht behandelt, gerade so natürlich oder gerade so geheimnisvoll wie die Tatsache, dass ein Apfelbaum, den man verdorrt glaubte, plötzlich zu blühen beginnt.
Schwester Klaras Krise dauerte drei Tage. In diesen drei Tagen lief sie herum, niemand sah ihr etwas an, sie zankte sich mit dem Spitalarzt, war freundlich mit der kleinen Schwester, die ihr half. Sie schrieb einen Brief, den sie einschreibenliess (dies am zweiten Tag), und der Brief war an den Berner Notar adressiert, der das Vermögen ihrer verstorbenen Eltern verwaltete. Dies war der Auftakt zum grossen Entschluss, der am dritten Tag folgte. An diesem Tage nahm sie frei, fuhr ins Mutterhaus, hatte dort eine erregte Auseinandersetzung mit der Oberin, fuhr von dort in ein Kleidergeschäft, liess sich einkleiden, hernach in ein Hutgeschäft, dann in einen Wäscheladen ... Ihre Schwesterntracht, die Schuhe mit den niederen Absätzen wurden verpackt und an das Gemeindespital geschickt. Hernach (das Konfektionskleid sass nicht ganz richtig, aber Schwester Klara sah gar nicht übel aus) fuhr sie nach Thun und verlangte im Palace Hotel den Kellner Frutiger zu sprechen. Es war elf Uhr morgens.
Er solle keine dummen Sprüche machen, eröffnete Klara dem Mann, der wirklich so aussah, wie sie ihn sich nach seiner Stimme vorgestellt hatte. Wo der Herr Armstrong sei? Der Kellner Frutiger in seinem Frack war verlegen, schwieg. Klara machte einen Umweg. Wie er ihn denn kennengelernt habe? Und wie er dazu gekommen sei, ihm Geld zu schicken?
Eine merkwürdige Geschichte. Frutiger war während des Krieges in London krank geworden. Keine Stelle, kein Geld. Da hatte ihn der Mann Armstrong aufgenommen, gepflegt, und als der Kellner gesund geworden war, ihm noch eine Stelle verschafft und Geld gegeben.
»Ich hab' ihm doch auch helfen müssen«, sagte der Maître d'Hôtel und wand sich verlegen, weil der Chef de réception hinten in der Halle aufgetaucht war und das Paar mit missbilligenden Blicken musterte. »Er war doch ein guter Kamerad.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Ich hab' ihm eine Stelle verschafft, in Mürren, als Plongeur ...«
»Plongeur? Was ist das?«
»Casserolier, wenn Sie lieber wollen.«
»Mürren? Welches Hotel?«Französische Dichter behaupten, dass Frauen mit bewegter Vergangenheit die besten Hausfrauen gäben, sobald sie einmal zur Ruhe gekommen sind. Warum sollte dies nicht auch bei Männern der Fall sein. Auf alle Fälle hat sich Klara »bis anhin« nicht über ihren Mann zu beklagen. Es ist ja auch nicht gesagt, dass sich jede Liebesgeschichte nach dem Schema »Tristan und Isolde« abspielen muss. Das Sanatorium geht vorzüglich. Es ist immer ein Vorteil, wenn ein Mann Erfahrung
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