Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
könne. Despine ist noch nicht ganz mürbe, er wehrt sich. Die Witwe bringt ihn zu Bett, legt ihm ein mit Äther getränktes Tuch auf die Nase. Am nächsten Morgen schläft Despine bis um zwölf Uhr. Er erwacht mit schwerem Kopf, bekommt irgendeinen betäubenden Blätteraufguss und wird nach der Bank geschickt. »Ich werde dich rufen, damit du deine Pflicht nicht vergissest«, ruft ihm die Nisiow nach. Er wartet auf den Ruf. Soll man Telepathie annehmen, dass er den Ruf durch das Telephon erwartet? Ich glaube nicht. Auch dass er einem nicht vorhandenen Direktor antwortet, ist wohl leicht durch Suggestion zu erklären. Er bringt der Witwe das Geld. Sie hat Angst, verraten zu werden, überzeugt den Halbbetäubten, nochmals auf die Bergwiese zu fliegen. Sie benutzt den Rausch zu hypnotischer Beeinflussung und befiehlt ihm, alles zu vergessen. Als der Betäubte gegen Morgen in eine Art Starrkrampf verfällt, wird die Witwe ängstlich, lässt einen Arzt und die Polizei rufen und atmet auf, als sie erfährt, dass Despine im Irrenhaus interniert worden ist.
    Es ist mir unmöglich, auf alle noch vorhandenen Unklarheiten einzugehen. Ich möchte nur bemerken, dass ichdas Buch ›Die Hexe von Endor‹ aus Russland kenne, wo es von Kurpfuschern und abergläubischen Leuten benützt wird, um durch Rezepte, die es enthält, mit dem Teufel in Verkehr treten zu können. Es ist mir natürlich unmöglich, die Macht dieser Frau auf Fliegen und andere Insekten erklären zu können. Aber ich kann über den Gesundheitszustand des Adrian Despine nur Gutes berichten und seine baldige Entlassung aus der Anstalt befürworten.
Sign.: Vera Vigunieff.
Eingesehen: Adrian Despine.«

Der erste August in der Legion
    In jenem Jahr fiel der 1. August ausgerechnet auf einen Donnerstag. Und am Donnerstag war immer grosser Ausmarsch, mit vollbepacktem Sack, wir mussten den Kaput anziehen, der gab heiss ... Es war eine ungemütliche Angelegenheit, besonders da der Marsch gewöhnlich fünf Stunden dauerte, von Bel-Abbès zu irgendeinem kleinen Kaff ... Fünf Stunden im Sommer! Wenn man sich da drücken konnte, so tat man es. Natürlich.
    Oder etwa nicht?
    Wir waren sechzig Schweizer im Regiment, und wir beschlossen, den Colonel Boulet Ducarreau zu bitten, uns den Tag frei zu geben.
    Boulet Ducarreau war dick, sehr dick. Wenn er am Morgen durchs Kasernentor rollte, präsentierte die ganze Wache das Gewehr. Er rollte wirklich, er sah aus wie ein Fussball, aus dem vier winzige Glieder gewachsen sind, und mit dem rechten winzigen Arme führte er die Reitpeitsche zum Képirand und grüsste. Dann brauchte die Wache nicht mehr Marmormänner zu markieren ...
    Er war beliebt, der Colonel, denn er hatte das Sandsackschleppen im Prison abgeschafft. Darum hofften wir auch, mit unserem 1. August Glück zu haben.
    Wir schickten Avezzano zum Colonel. Der hatte das beste Mundwerk. (Vielleicht hiess der Avezzano ganz anders, wer kann das wissen? Er behauptete, sein Vater sei Oberst in der Schweizer Armee und habe ein Hutgeschäft in Lausanne, er selber sei Leutnant gewesen, aber ein Liebeskummer ... Merkwürdig, wieviel Liebeskummer es in der Legion gibt, besonders bei den Deutschen und Schweizern. Die Russen sind da viel ehrlicher, die sagen ganz ruhig, sie hätten einen totgeschlagen, auch wenn's nicht wahr ist.) Er machte also seine Sache glänzend, der Avezzano.Wenigstens erzählte er, wie fabelhaft er sich benommen habe:
    »Ich habe ihm gesagt: ›Mon Colonel‹, hab' ich gesagt, ›wir haben am 1. August unsern Nationalfeiertag, wir Schweizer.‹ – ›Ah‹, hat der Colonel gesagt, ›habt ihr in der Schweiz auch eine Bastille erstürmt wie wir am 14. Juli?‹ – ›Nein‹, hab' ich geantwortet, ›bei uns ist kein Blut geflossen, wir haben nur ein Schriftstück unterzeichnet und einen Eid geschworen, im Jahr 1291, dass wir uns helfen wollen in allen Nöten und Gefahren, dass wir frei sein wollen und frei sterben. Es ging gegen die Österreicher.‹ – ›Ja, die Österreicher‹, sagte der Colonel. ›Das Haus Habsburg! Oder war es damals ein anderes Haus? Die haben die Politik immer durcheinandergebracht. 1291 haben Sie gesagt, Avezzano? Mein Gott, wie die Zeit vergeht! Und Sie wollen also frei haben? Am 1. August? Ich bin ganz einverstanden. Obwohl Sie in Betracht ziehen müssen, dass ich dann sechzig Permissionen unterschreiben muss. Bei dieser Hitze! Ich will's tun. Den Schweizern zuliebe. Man soll seine Heimat nicht vergessen. Auch die Nacht? Gut. – Sie

Weitere Kostenlose Bücher