Erzählungen
werden Ausgaben haben, Avezzano, hier sind fünf Franken, ich stifte sie für die Schweizer.‹ – ›Danke, mon Colonel‹, hab' ich gesagt, die Absätze zusammengehauen, und dann bin ich ab. Hab' ich das nicht glänzend gemacht?«
Avezzano wurde von uns allen belobt, obwohl wir ihn schwer in Verdacht hatten, dass er fünfzehn Franken in die eigene Tasche habe gleiten lassen. Ein Colonel gibt doch mindestens zwanzig Franken. Aber wir konnten es ihm nicht nachweisen, und schliesslich hatte er seine Sache gut gemacht. Jeder muss schliesslich gelebt haben auf dieser Welt.
Wir sammelten unter den sechzig Schweizern, denn wir wollten endlich feiern. Vier Sergeanten, fünfzehn Korporale, der Rest Mannschaft. Die Mannschaft war wichtig. Viele waren darunter, die gerade ihre »Prime touchiert« hatten, die mussten abladen. Um es kurz zu machen, wirbrachten zweihundert Franken zusammen. Der Sergeant Senn, ein Thurgauer, wurde zum Kassier gewählt. Wir hatten Vertrauen zu ihm, weil er ein ehemaliger Theologe und nicht aus Liebeskummer in die Legion gekommen war.
Wir kannten einen Beizer in der Stadt, der einen grossen Saal hatte. Den Saal brauchten wir gar nicht zu mieten, wir bekamen ihn umsonst – zwei Franken verlangte der Mann fürs Essen: Braten, Gemüse – auf Suppe und Dessert verzichteten wir gerne – dafür kam auf jeden ein Apéritif und ein Liter Wein für zwei.
Es wurde ein richtiger Feiertag. Als die andern um halb vier Uhr aufstehen mussten, blieben wir liegen. Sie schwankten mit dem vollbepackten Sack zur Tür hinaus, und wir sahen ihnen nach. Nicht, dass es gerade sehr gemütlich gewesen wäre in den Betten, die Wanzen plagten uns, sie liessen sich von der Decke auf uns herunterfallen. Es klang manchmal wie zu Beginn eines Gewitters, wenn die ersten grossen Tropfen fallen... Aber Langes-im-Bett-Liegen gehört zu einem Feiertag.
Gegen neun Uhr standen wir auf, machten Toilette. Den Khakirock stopften wir in die Hosen, legten die graue Flanellbinde um, ganz eng, wir hatten richtige Taillen... Dann marschierten wir zum Tor hinaus. Der Sergeant von der Wache wusste Bescheid, er kontrollierte nicht einmal unsere Permissions.
Um zehn Uhr spendierte der Kassier, Sergeant Senn, den Apéritif. Wir tranken weissen Wein. Er war stark. Darum hiess er auch »Kébir: Der Grosse«. Wir sprachen nicht viel, es war zu heiss. Hin und wieder erzählte einer eine Geschichte aus der Rekrutenschule in Thun oder Frauenfeld. Avezzano sprach von den vielen Cocktails, die er in Genf getrunken hatte. Aber das interessierte uns nicht. Es waren eben viele da, die gar nicht wussten, was ein Cocktail war...
Dann gingen wir in die Kaserne zurück, assen dort zu Mittag, legten uns hin und schliefen bis um vier Uhr. Dasgehörte auch zum Feiertag. Um vier Uhr weckten uns die Heimkehrenden, sie waren mit Staub gepudert, sie schwitzten und ächzten, und einige hatten Blasen an den Füssen. Wir wurden beneidet, und das hob unsere Stimmung. Gemütlich wuschen wir uns, gingen wieder in die Stadt, zur Stadt hinaus, promenierten unter den Bäumen und liessen uns von den Zivilisten bewundern. Avezzano hatte ein paar Bekanntschaften. Denen erzählte er, wir hätten heute unsern grossen Feiertag. Besonders die Spanier verstanden das sehr gut. Es war ein Weinbauer dabei, dem kilometerlange Weinfelder gehörten, der lud uns zu sich ein und spendierte allerlei. Wir kamen in Stimmung.
Um sieben Uhr landeten wir bei unserem Beizer. Der Braten war gut – als Apéritif hatte es Anisette gegeben, aber eine Anisette, die schon mehr Absinth war –, zu dem Braten gab es Tomaten und einen Salat aus Pfefferfrüchten, der uns durstig machte. Zu einer rechten Feier gehört ein Trunk.
An der Wand hing eine Fahne. Auf einem roten Tuch waren zwei weisse Streifen in Form eines Kreuzes ungeschickt aufgenäht. Sie war schön, die Fahne. Wir fanden sie viel schöner als die langweilige Trikolore... »Ein Kreuz«, sagte einer, »das ist doch wenigstens etwas. Aber so drei Streifen nebeneinander?...« Es war doch gut, dass uns kein Franzose hören konnte.
Merkwürdig, die Fahne wirkte auf uns. Wir benahmen uns sehr gesittet, trotz der Hitze, trotz dem Staub, trotz, vor allem, dem vielen Wein. Denn Wein gab es genug. Es blieb natürlich nicht bei einem Liter für zwei. Jeder wollte etwas spendieren. Voran die Sergeanten, die keinen grossen Sold hatten (und drei Viertel mussten sie an die Unteroffiziersmesse abführen), da waren wir Korporale mit unsern
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