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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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unterscheiden vom hellen Weinen der Mücken und dem leisen Orgelton der Bremsen und Bienen. Unwillkürlich musste Herr Vibert an den Satz denken, den laut Protokoll des Dr. Metral Adrian Despine so oft wiederholt hatte: »Erst zweimal die Prim, dann dreimal die Quart und zweimal die Oktav.«
    Um Frau Nisiow war ein leerer Raum. Herr Vibert wehrte sich verzweifelt gegen das Ungeziefer, das sich in seinem Bart verfangen hatte. Der Hautstreifen darüber schwoll rot an, und von der Stirne liefen Blutstropfen und färbten die blonden Haare an manchen Stellen. Das Händefuchtelnwar nutzlos. Die Handrücken waren schwarz, dicht bedeckt mit surrenden Leibern. Der Schreiber hatte die Arme verschränkt auf den Tisch gelegt und den Kopf darauf, auch seine weissen Haare waren unsichtbar unter einer surrenden schwarzen Perücke.
    Frau Nisiow stand auf, ging zur Tür. Ein eintöniges Summen kam von ihren Lippen. Das Summen im Zimmer wurde stärker. Sie wechselte die Melodie, pfiff mit gespitzten Lippen Quint und Septim, den ganzen Dominantseptakkord, hinauf und hinunter. Das Ungeziefer sammelte sich zu einer Wolke, als habe es ein Signal gehört, und folgte Frau Nisiow zur Türe hinaus, durch die Gänge des Justizpalastes, in denen die erschrockenen Schutzleute Spalier bildeten, um die schlampige alte Frau mit ihrer sonderbaren Leibgarde passieren zu lassen. Die Wolke folgte ihr auch, als sie durch den besonnten Hof schritt, auf die Gasse hinaus und die steile Rue Verdaine hinab. Das Pfeifen hatte sie eingestellt, dennoch folgte ihr der Schwarm, folgte ihr auch in das Haus, die Holztreppe hinauf und in ihre Wohnung.
    »Verstehen Sie das?« Herr Vibert wandte seinem Schreiber einen verschwollenen Hautstreifen zu. Vergebens versuchten die Augen aufzugehen. »Insektenschwärme im April? Gibt es das? Nein, bitte, kein Zitat«, wehrte er ab, als sein Schreiber den Mund öffnen wollte.
    Ein kleines, kupferhaariges Männlein, glatt rasiert, trat ins Zimmer und kam, schwingend den gewölbten Hinterteil, auf den Untersuchungsrichter zu. Er legte ein mit braunem Packpapier umhülltes Paket auf den Schreibtisch und flüsterte Herrn Vibert etwas ins Ohr, während die Umhüllung von den Gegenständen fiel. Herr Vibert nickte und diktierte dann laut:
    »Die Haussuchung bei der Witwe Nisiow, Rue du Marché 23, am 10. April, 15 Uhr, von dem Kommissar Vachelin und den Polizisten Sandoz und Corbaz vorgenommen, hat ergeben:
    Das Beklopfen der Wand hinter dem ungemachten Bettvorerwähnter Witwe einen Hohlraum, verbergend ein Wandkästchen, das unter der Leitung von Kommissar Vachelin mit einem, zu diesem Behufe mitgeführten Stemmeisen gesprengt wurde. Der Inhalt bestand aus: 1 Glasflasche, enthaltend zirka 200 Gramm Schwefeläther; 1 Steinguttopf mit einer nach Kampfer riechenden Salbe; 1 roter Zierkürbis, enthaltend fein zerriebene Blätter einer unbekannten Pflanze; 1 Pravazspritze, Marke Record; 1 Schachtel mit 3 Ampullen mit einer 2prozentigen Morphiumlösung; 1 schmutziger Lederbeutel, enthaltend eine Münze mit griechischer Aufschrift auf der einen Seite, auf der andern die Abbildung einer nackten männlichen Gestalt, mit vier ausgebreiteten Fliegenlöffeln, die in der rechten Hand eine sogenannte Pansflöte hält, in der linken ein Insektenei.
    Haben Sie das, Grandjean? Sie verstehen wohl auch nichts? Nein, nein, bitte keine Zitate.«
    Dann ging Herr Vibert an den blechernen Wasserbehälter, drehte den kleinen Hahn auf und liess das Wasser in ärmlichem Strahl in das emaillierte Waschbecken stottern. Er kühlte sein Gesicht mit dem Handtuch, das, laut ungeschriebener Vorschrift nur für die Hände bestimmt war.
    »Was wollen Sie hier, Sandoz?« flüsterte da der Kommissar Vachelin, als sich ein breiter, hoher Waadtländer auf schweren Nagelschuhen zur Tür hereinschob und eckig salutierte. Er wischte den braunen Schnurrbart beiseite und sagte:
    »Sie hat sich aufgehängt, und die dreckigen Viecher fressen sie auf.«
    »Wir wollen hingehen«, sagte Herr Vibert ganz ruhig, »diesen Anblick darf ich mir nicht entgehen lassen.«
    In der Wohnung fanden sie an der Innenseite des krachenden Mieders (es hing über dem Bettende) wohlverteilt dreihundert Hundertfrankenscheine. In der Küche fand der Polizist Corbaz in einer mit Mehl gefüllten Schublade ein rotes Portefeuille, das drei Tausendfrankenscheine enthielt,Visitenkarten aus Büttenpapier, mit dem Namen: Mr. Douglas Tennyson, Connecticut, und einen Pass, lautend auf Arthur Abramoff, maître

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