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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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aufgestellt und steche ihn, ich müsse eben dann nachschauen, mir Zeit lassen – »Zat« sagte der alte Kainz und klopfte dem Seppl die grauen Flanken und den glatten Hinterschenkel... der Seppl schnaufte.
    Ich versprach, mich um den Seppl zu kümmern, und gab ihm ein Stück Brot; das war ein grosses Opfer, denn in unserem Posten (Gourrama hiess er und war ganz im Süden von Marokko – hinter den kahlen roten Bergen im Süden konnte man manchmal einen hellen Schein sehen in der Nacht, der kam von der Wüste), denn eben, in unserem Posten war das Brot rar, zeitweise... Seppl nahm das Brot gnädig und zart mit seinen Zähnen, die gelb und vorstehend waren, wie bei einer alten Engländerin. Er schnaufte, schnupperte an meinem Ärmel, blies mir seinen warmen Atem in den Hals, dass es mich kitzelte, nieste dann geräuschvoll und klapperte mit seiner Kette.
    Jetzt kenne er mich, sagte der alte Kainz, und das In-den-Hals-Blasen sei ein Zeichen von Sympathie. »Er mog di gern...« sagte der alte Kainz, und seine Stimme war nichtganz fest. Darum schraubte er seine Pfeife auseinander und blies lange und anhaltend ins Mundstück. Es war verstopft, Tränen traten dem alten Kainz in die Augen, und das war wohl der Zweck des Manövers. Jetzt konnte er seine Tränen ohne Verlegenheit sehen lassen, sie kamen ja vom Pfeifenausblasen.
    Am Morgen bekamen die Maulesel zwei Kilo Gerste, am Mittag eins, am Abend wieder zwei. Wenn wir im Posten waren, ritten wir sie um elf Uhr ohne Sattel zur Tränke. Die Tränke, das war ein kleiner Fluss, Oued nennt man sie dort unten, eingesäumt von Oleanderbäumen, die im Juni unwahrscheinlich rot blühten. Von ihnen kam das Fieber, sagte unser Capitaine – unser Hauptmann, wenn Sie lieber wollen.
    Er benahm sich sehr anständig, der Seppl, als ich ihn das erstemal ohne Sattel ritt. Er war kleiner als die anderen Tiere der Kompagnie, seine Mutter war eine Eselin gewesen, während die Mütter der anderen Tiere sicher Stuten gewesen waren. Er hatte sehr lange Ohren, der Seppl, und mit ihnen konnte er allerlei Kunststücke ausführen. Er konnte Einhorn spielen, das linke Ohr eng an den Kopf gelegt, so dass man es gar nicht mehr sah; das andere stach vor wie ein Spiess, und dann wandte er sich etwa um, nickte mit seinem vornehmen Engländerinnenkopf und begann einen Galopp. Das Umsehen tat er nur aus Höflichkeit, damit ich nicht etwa hinunterfiele. So kamen wir an die Spitze der Kompagnie, der Adjutant, der das Tränken leitete, brüllte mich an, was ich da vorn zu suchen habe: Da stellte der Seppl seine beiden Ohren auf, machte ein lammfrommes Gesicht (ja, ein Gesicht!), sah den Adjutanten von unten an, als wolle er sagen: »Verstehst du denn keinen Spass?« und dann lachte der Seppl. Ich will einen Eid darauf schwören, dass der Seppl gelacht hat. Ihr kennt doch so robuste alte Damen, sie sind meistens dick, und ein Schnurrbart wächst ihnen auf der Oberlippe. Die haben so ein tiefes, weiches Basslachen, es schüttelt sie, man kann nicht anders als miteinstimmen – so lachte der Seppl ...
    Und der Adjutant, der sonst ein grober Kerl war, musste auch lachen. Er stammte aus Korsika, darum konnte er auch Seppls Namen nicht richtig aussprechen. »Le Ssseppelll«, sagte er und riss sein Pferd herum, um weiter zu reiten. Er schämte sich ein wenig, dass er gelacht hatte. Unten am Oued soff der Seppl so ausgiebig, dass ich es an meinen Schenkeln fühlte, wie er immer dicker und dicker wurde. Dann war er endlich fertig, hob den Kopf, und schillernde Fäden hingen an seinem Munde. Dann wandte er wieder den Kopf, und da ich ziemlich weit nach vorne gerutscht war, stupfte er mich am Knie mit seiner nassen Schnauze. Ich wusste nicht, was er wollte. Er stupfte noch einmal. Ich blieb sitzen. Da zerfloss der Seppl plötzlich unter mir, es war genau dies Gefühl, er war auf einmal nicht mehr da – doch, er war noch da, aber neben mir, und wälzte sich im grauen Sand, alle viere zum Himmel erhoben, wälzte sich und grunzte und spuckte und nieste, dass es eine Freude war. Von da an wusste ich, was der Stupf mit der Nase zu bedeuten hatte – Seppl wollte ein Sandbad nehmen. Ich bitte euch, warum sollte er nicht? Wir tun's doch auch ...
    Vielleicht kam es daher, dass Seppl von einer Eselin stammte und wenig Zugehörigkeitsgefühl besass zu seinen Kameraden, die hochbeinig und ein wenig plump waren, während Seppl wirklich sehr schmale Fesseln hatte und ausserdem zartgliedrig war – kurz, er pflegte keine

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