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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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silbernen Hut ...
    »Ich brauche Geld«, sagte Baskakoff leise. Und als wolle er die Worte verwischen, fügte er hinzu: »Trinken Sie!« So zwingend war die Aufforderung, dass der Korse einen langen Schluck aus der Pernodflasche nahm. Das war unvorsichtig, denn ich sah es ganz deutlich, wie seine augenblickliche Nüchternheit plötzlich verflog und ein ganz schwerer Rausch seine Zunge lähmte.
    »Ich brauche Geld«, sagte Baskakoff lauter. »Können Sie mir etwas leihen? Fünfzig Franken? Sie bekommen sie zurück am Ende des Monats.«
    »Geld?« lallte Cattaneo. Er griff in seine Hosentasche, zog Banknoten hervor. »Geld haben wir genug.« Und warfeine Fünfzigernote über den Tisch. Ich konnte sie nicht recht sehen. Der Korse hielt seine Hand darüber.
    »Aber natürlich!« Die glatte, schöngeformte Hand gab die Note frei. »Bei mir«, sagte Cattaneo, »ist immer Geld. Wenn sie ins Prison kommen, meine Vögel, haben manche die Taschen voll Geld. Das sehen sie nie wieder. Wozu auch? Hahahaha. Gegen Sergeant Cattaneo aufmucken? Gibt es nicht. Da hast du. Willst du mehr?«
    Eine Hunderternote, noch eine.
    Die Tür der Kantine ging auf. Im Türrahmen standen zwei Mann mit aufgepflanztem Bajonett. Ein Korporal begleitete sie.
    »Mein Herr«, sagte Baskakoff und wandte sich an mich. »Sie sind Zeuge, dass mir Sergeant Cattaneo zwei blutbefleckte Banknoten übergeben hat. Korporal, treten Sie näher. Führen Sie den Mann ins Zivilgefängnis. Sie sind verantwortlich für ihn. Sie haften dem Obersten! Verstehen Sie?« Baskakoff sprach Deutsch, sonderbarerweise, und der Korporal von der Wache verstand ihn und seine Begleiter auch. »Im Wachtlokal können Sie ihn fesseln. Ihren Rapport erwarte ich im Büro des Obersten.«
    Einen Augenblick zweifelte ich noch. War es nicht ein Taschenspielerkunststück meines Freundes Baskakoff? Hatte er vielleicht die Noten, die der Korse aus der Tasche gezogen hatte, vertauscht? Aber dann sah ich das Gesicht Cattaneos. Keine Spur von Rausch war mehr in den Zügen festzustellen. Die kleinen Ohren verschwanden fast, wie bei einer wütenden Katze, die ihre Muscheln fest an den Kopf gepresst hält und faucht. Die zwei Soldaten der Wache (kräftige, junge Kerle) packten den Gefängnisdirektor, zogen ihn hoch. Ein Stuhl fiel um. Die Sänger schwiegen. Und plötzlich war es, als habe den Korsen ein Faustschlag an der Schläfe getroffen. Er sank zusammen. Die beiden von der Wache, die nicht recht wussten, was sie mit dem Gewehr anfangen sollten, stützten ihn – und so, die Fussspitzen am Boden schleifend, verliess Sergeant Cattaneo (glasig und halbgeschlossen waren seine Augen) die Kantine.
    Ich starrte ihnen nach. Da weckte mich eine Stimme, und die Stimme sagte:
    »Die Flasche Pernod müssen Sie bezahlen, mein Freund. Das ist meine Spesenrechnung. Und nun gehen wir wieder fort. Im arabischen Viertel werden Sie mich zu einem Tee einladen. Das werde ich als mein Honorar betrachten. Denn Sie wissen ja«, ein Glucksen, das wie ersticktes Lachen klang, »wir Rechtsanwälte stellen immer eine ziemlich hohe Rechnung für unsere Arbeit.« Er sah meinen Blick, der sich an seinem Soldatenrock festgesehen hatte. »Ich bin zu arm, um mir schneidern zu lassen«, sagte er. »Und ein Hexenstück war das Ganze nicht. Ich weiss seit einer Woche, dass Cattaneo manchmal ohne Begleitung in die Stadt geht. Eine schwarze Brille verbirgt seine Augen, nur lose sind seine Galons angenäht. Und haben Sie gehört, mit welchem Plaisir (Plaisir! sagte Baskakoff) er vom ›Kuik‹, vom Halsabschneiden, vom Mord sprach? Ich freue mich, ich werde eine schöne Klage zu schreiben haben für das Kriegsgericht, denn wissen Sie, diesmal werde ich den Angeklagten selbst verhören. Aber ich verdiene nichts dabei. Untersuchungsrichter sind Staatsangestellte. Darum habe ich meine Sporteln als Advokat auf Ihre Rechnung geschrieben ...«
    Er schritt zur Türe. Der Abend, der im Kasernenhof ruhte, war still und staubig. Ein Horn blies irgendein Signal. Wir kümmerten uns nicht darum.

Ein toter Mann
    »Wenn Sie wüssten«, sagte der dicke Herr, dessen Nacken Falten warf, »wenn Sie wüssten, wie schön wir es gehabt haben vor dem sogenannten Weltkrieg. Man brauchte keine Pässe, man brauchte sich nicht anmelden zu lassen – alles war einfach, die Zollwächter behandelten einen rücksichtsvoll. »Oh«, seufzte er und fuhr mit dem Zeigefinger dem Stehkragen entlang, »Sie wissen eben nicht, wie ...« Er schwieg plötzlich; vielleicht war

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