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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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da, auch wenn ich Vergangenes träume, Vergangenes, das irgendwann doch Gegenwart war.
    Die Strassen waren mit dickem Nebel angefüllt, als wir durch das Tor traten. Im Zirkus selbst hatten wir nicht miteinander gesprochen, aber sie fühlte wohl, dass ich ihr die Stufen hinunter gefolgt war. Denn sie zögerte auf der Strasse, schritt nur langsam aus, so als habe sie Angst, mich zu verlieren. Ich bin sehr ungeschickt, wenn es gilt, Frauen anzusprechen. Das kennst du ja. Wenn du mir damals nicht zugenickt hättest, weisst du, an jenem Abend, als wir zum erstenmal zusammen tanzten, wir hätten uns wohl verfehlt. Ganz anders als du war sie, als du, die du schlank bist und blond. Nicht ganz so gross wie du, breiter gebaut, mit sehr dunklen Haaren und einem runden Gesicht. Ich ging neben ihr und begann zu sprechen, ohne Begrüssung. Von den Hunden erzählte ich, die wir gesehen hatten. Sie schwieg. Ich aber wollte ihre Stimme hören. Wo sie denn wohne,fragte ich sie. Da sprach sie zum erstenmal: Sie sei Krankenschwester.
    Siehst du, wieder will ich in den Fehler verfallen, dir ihre Stimme zu schildern. Nachmachen könnte ich sie nicht, und wenig Worte stehen uns zur Verfügung, um den Ton einer Stimme zu verdeutlichen. Es war die Stimme einer schweigsamen Frau, die des Redens ungewohnt ist, nicht aus Schwerfälligkeit oder Dummheit, sondern, so schien es mir, aus Angst vor dem entstellenden Wort und Klang. Eine graue Stimme, möchte ich sagen. Irgendwo klirrte ein Sprung darin, ein seelischer Riss wohl mehr als eine Verletzung der Stimmbänder.
    Du lächelst? Ein wenig höhnisch wohl... Nun, mach dich nur lustig über mich und meine papierenen Vergleiche... Du schüttelst den Kopf?... Und willst nicht sagen, warum du mich auslachst?...
    Ich begleitete sie bis vors Spital. Was wir noch gesprochen haben, ich weiss es nicht ..., denn ich war es wohl, der die ganze Zeit redete. Ich war damals ziemlich einsam, und dann geschieht es eben, dass er plötzlich losbricht, der Redestrom.
    Sie machte mir selbst den Vorschlag, mich besuchen zu kommen. Sie sprach ganz natürlich; sie sagte: »Wo wohnen Sie? Ich werde morgen abend zu Ihnen kommen.« Ich gab ihr meine Adresse.
    Nun sass sie in meinem Zimmer auf einem der Stühle. Es war warm. Vor den Fenstern stand eine zähe Dunkelheit.
    Du kannst dir diese Dunkelheit nicht vorstellen, besonders hier nicht, wo der Abend klar und hell, die Nacht aber getränkt ist von dem Licht, das ihr der Tag schenkte. Dort brennt die hellste Lampe trüb wie ein Grubenlicht, es ist, als steige die Dunkelheit mit den Kohlen empor aus den Schächten, als vergifte sie jegliches Licht.
    Sie sagte, sie habe Hunger, sie sei gleich nach dem Dienst aus dem Spital fortgelaufen. »Du hast mir gefallen«, sagte sie. Ich war nicht weiter erstaunt über das Du. Sie saherhitzt aus. Auch dass ich ihr gefalle, freute mich. So lange hatte niemand nach mir gefragt, und nach diesen Worten lockerte sich das Einsamsein.
    Ich brachte eine Serviette, die ich über den Tisch breitete, ich selbst hatte auch noch nicht gegessen. Eine Fleischsuppe hatte ich gekocht, mit viel Gemüse drin. Das ganze Zimmer roch danach.
    Zwischen uns stand die Petroleumlampe; zackig leuchtete die Flamme durch den staubigen Zylinder. Weisst du, wenn man allein ist, hat man keine Lust zum Putzen. Jetzt habe ich ganz deutlich den Geschmack des Rossfleisches im Munde, das ich damals gekocht hatte. Rossfleisch war billig und nahrhaft, und ich hatte wenig Geld. Viel hat sich ja seither nicht geändert. Und an die Fische, die hier nach dem harten Licht schmecken, das über dem Meere liegt, musste ich denken nur wegen des Rossfleisches. Ich arbeitete damals in einem Büro, so Übersetzungen, weisst du. Und vorher hatte ich in den Gruben auf Nachtschicht gearbeitet.
    Immer schweife ich ab, weil es so schwer ist, von dieser Sache zu erzählen. Geschehen ist ja weiter wirklich nichts. Nun, eingescharrt wäre ich fast worden, dort oben, in der kalten, schwarzen Erde, die vollgesaugt ist mit Feuchtigkeit. Zuerst erzählte sie vom Spital. Sie schien seit dem ersten Abend ein Hindernis beiseite geschafft zu haben, denn ihre Rede war zusammenhängend, obwohl die Worte nur langsam von den Lippen geformt wurden, diesen Lippen, die viel Farbe hatten, obwohl sie nicht geschminkt waren. Sie sprach von den Kranken, besonders von denen, die noch zäh am Leben hingen und sich wehrten, obwohl keine Hoffnung mehr für sie war. Diese pflege sie mit Vorliebe, und im Spital

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