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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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wolle; übrigens, ob ich das nicht auch merkwürdig gefunden hätte, dass sie, obgleich verschiedenen Glaubens, doch immer so gut mit ihrem Léon ausgekommen sei? Ich fand das gar nicht sonderbar. Die beiden hatten eben viel zu gut zueinander gepasst. Tante Amélie nickte. Dann wurde sie wieder ängstlich: Wo auch Léon bleibe?
    Der Sommerabend war weich, und die trägen weissen Wolken, hinter denen die schon tiefe Sonne stand, hatten silberne Ränder. Ich suchte den Alten lange, aber die Strassen waren leer. Nur ganz in der Ferne trommelte ein verspäteter Wagen. Die Dämmerung kam, und immer noch suchte ich die gebeugte Gestalt. Dann sah ich rechts von der Strasse einen schmalen Grasstreifen, der zwischen zwei Feldern lief, auf denen der Roggen hoch stand. Die Halme waren schon gelb, aber sie reckten sich auf, sehr gerade, denn die Ähren waren noch leicht. Und auf diesem Grasweg fand ich meinen Onkel.
    Er lag halb aufgerichtet, den Kopf auf seinem zusammengelegten Mantel, und rechts und links von ihm standen die gelben zierlichen Speere; einige von ihnen waren rot gesprenkelt. Dem Toten zu Häupten aber sass, auf dem Zweig des wilden Birnbaums, die Eule.
    Als Pastor Leblanc vorschlug, dem alten Doktor als Grabstein eine Eule zu setzen, begegnete er nur Widerspruch. Das sei heidnisch, warf man ihm vor, und da er nur vonmir unterstützt wurde, fiel er mit seiner Anregung durch. Berthe kam übrigens nicht ans Begräbnis, obwohl sie in Graubünden war. Meine Tante ist ein Jahr darauf in einem Altersheim gestorben. Berthe hat ein kleines Mädchen zur Welt gebracht, aber das hat nicht lange gelebt. Wir wollen da nicht von ausgleichender Gerechtigkeit sprechen, das sind heikle Dinge. Besonders da Berthe scheinbar sehr glücklich ist. Sie besitzt ein Auto und zwei Windhunde.

Juliette
    Lege dich nicht auf die Kiesel, sie sind hart. Aber auf dem Hügel unter den Korkeichen, von deren Stamm sie die Borke geschält haben, ist der Boden weich. Und auch das Meer kannst du sehen. Lange genug bist du geschwommen; hab keine Angst, auch dort oben wirst du nicht frieren. Der Wald ist gedeckt gegen den Wind, der von den Bergen kommt; und durch die Blätter dringt die Abendsonne noch warm und geduldig.
    Liegst du gut?... Komm, ich will dir noch meinen Bademantel unter den Kopf legen; ich bin zufrieden mit dieser Wurzel... Sieh, durch die Blätter flimmert der Himmel, wie eine bunte Zimmerdecke im Fiebertraum ... Schläfst du?... Du hast nur die Augen geschlossen, weil das Licht dich blendet? Frierst du nicht?... Du bist noch feucht und riechst nach Meer... Warum ich lache?... Weil nicht viel gefehlt hätte und ich läge nicht neben dir, hier, wo es warm ist und hell und die strengen Berge Linien zeichnen gegen die Wolken, die stets am Vergehen sind... Und weisst du, gerade hier muss ich an die graue Stadt denken, die fast niemals Sonne hatte. Dort gilbten die Blätter schon im Juli, denn voll Staub und voll giftiger Gase war die Luft. Immer sank dort der Regen, der schwarze Regen, der Flecken zurückliess auf der Haut. Klein waren die Menschen, die durch die Strassen liefen, hässlich, mit schwarz gesprenkelter Haut.
    Lass mich nachdenken. Wo habe ich sie nur zuerst getroffen? Sonderbar, sogar ihren Vornamen habe ich vergessen. Deutlich sehe ich nur ein Bild von ihr: Sie sass auf meinem Bett, es war Nacht, die Knie hatte sie gegen das Kinn gedrückt und starrte ins Leere. Manchmal erzählte sie. Damals wohnte ich in einem möblierten Zimmer, das miteinem Kochherd und mit Kochgeschirren vermietet wurde. Ein Tisch stand darin, zwei wacklige Stühle und ein sehr breites Bett.
    Wie ich das nur vergessen konnte!... Natürlich, im Zirkus hatte ich sie getroffen. Sie sass neben mir in der leeren Stuhlreihe, die Vorstellung war schlecht besucht. Zuerst bemerkte ich sie nicht. Dressierte Hunde wurden vorgeführt, und diese fesselten mich sehr. Sie starrte mich an, und dann musste ich sie doch ansehen...
    Warum kehrst du dein Gesicht ab? Stört dich die Sonne? Bald wird sie untergehen, und der warme Abend ist dann da, der seinen schweren Mantel über das Meer legt. Was ist schliesslich ein Gesicht? Man kann es beschreiben. Aber von den Worten zum Bild ist ein weiter Weg, den keiner, schier, zurückzulegen vermag. Wenn ich dir diese Frau schildere, siehst du doch nur einen zerfliessenden Schatten vor dir...
    An deiner Hand sehe ich, dass du ungeduldig wirst. Komm, lass mich deine Finger halten, damit du nicht meinst, ich sei fort. Immer bin ich

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