Erzählungen
aussprechen dürfen.
Ich habe begonnen, dir etwas zu erzählen ... Was war es nur? Ja, von einem Abend wollte ich dir erzählen, einem Abend, der sehr merkwürdig war. An einem Sonntagnachmittag, im Februar muss es gewesen sein, lud ich Pit ein, mit mir spazieren zu gehen. Mowgli hatte Besuch von ihrer Mutter, ausserdem war sie nicht wohl und lag im Bett. Da sagte ich, Pit, sagte ich, wir wollen einen Bummel machen. Er nickt, zieht seinen Mantel an und kommt mit (übrigens hatte er sich einen neuen Anzug gekauft, er hatte ganz gut verdient in der letzten Zeit, ein Plakat für unser Schützenfest hatte er gemacht, und ein paar Programmentwürfe für Liebhabervorstellungen, auch Zeichnungen hatte er verkauft, es ging ihm nicht schlecht, er hatte auch pünktlich seine Pension gezahlt, aber immer erst, wenn ich ihn daran mahnte). Anderthalb Kopf grösser als ich war er, der Pit – weisst du, wie meine Frau ihn nannte? – Teddybär ... Ein merkwürdiger Name, der gar nicht zu ihm passte, höchstens im übertragenen Sinne. Er sah gar nicht wie ein Spielzeug aus, aber Frauen sehen da manchmal schärfer, vielleicht war er eben doch nur ein Spielzeug, seelenlos ... Was hältst du von der Seele, Pit? Nein, schweig, ich will nichts wissen ... Wir zogen los. Bummelten durch den Wald, der kahl war, und nur ein wenig Wind pfiff durch die Zweige. Wir schwiegen. Ich setzte ein paarmal zum Reden an, aber über den Menschen da neben mir war eine so schwere Traurigkeit hereingebrochen, ... hereingebrochen, ich wiederhole das Wort, dass ich mich nicht getraute zu reden. Und ich bin sonst nicht scheu, das kannst du mir glauben. Wenn man mitten im Leben steht wie ich, täglichmit soundso vielen Leuten verhandeln muss, mit unzufriedenen Steuerzahlern, mit schlecht aufgelegten Vorgesetzten, da lernt man das Reden, da könnte man Reisender werden, so gut versteht man es, mit Menschen umzugehen. Aber mit diesem Schweiger da? Er war traurig, sag' ich dir, wie ... ich habe einmal eine gefangene Giraffe im Zoologischen gesehen. Wie eine traurige Giraffe sah er aus, mit seinem langen Hals und der vorstehenden Mundpartie, kein Kinn, und auch über dem Mund floh das Profil in schiefer Linie nach hinten. Schön war er nicht, nein, gerade so wenig wie du, ohne dich beleidigen zu wollen ... Warum hast du eigentlich nicht mit meiner Frau getanzt, Pit? War sie dir nicht schön genug ... Nein, schweig, ich will dich ohnehin um etwas bitten, aber später. Jetzt lass mich fertig erzählen. Ich bin ja bald zu Ende.
Wie eine Giraffe habe ich gesagt, und ich begriff da zum erstenmal, warum Mowgli ihn Teddybär nannte. Ich fühlte eine ganz merkwürdige Zärtlichkeit zu ihm, wie zu einem fremden Tier, das sich in ein unbekanntes Klima verirrt hat und mit dem Klima nicht zurechtkommt, krank wird ... was Klima! Mit den Verhältnissen meine ich. Und gerade, wie ich ihn fragen will, ob er sich denn bei uns nicht wohlfühlt, ob er wieder in den Dreck zurück will, aus dem ich ihn gezogen habe, gerade in diesem Augenblick sagt er zu mir: »Du, Finanzminister«, so nannte er mich nämlich immer im Spass, aber jetzt war kein Spass in seiner Stimme, und das Wort war ihm nur herausgerutscht, so mehr aus Gewohnheit, »du, Finanzminister«, sagt er, »du solltest deine Frau anständiger behandeln«. Ja, Pit, das hat er gesagt. Ich war sprachlos, dann, als ich mich ein wenig gefasst hatte und ihm gehörig meine Meinung sagen wollte (obwohl es eigentlich schwer war; denn ich durfte ihm doch nicht sagen, dass ich gehört hatte, einmal vor der Tür, wie er mit meiner Frau stand), da spricht er weiter: »Denn du musst bedenken, Finanzminister, dass Ihr zwei beide nicht auseinander könnt, du kommst von ihr nicht los, und sie ... ja, sie auch nicht von dir, obwohl ...« Dann schweigt erwieder, und ich schaue ihn an, schaue ihn an ... »Du darfst nie vergessen, dass sie es schwer gehabt hat, in ihrer ersten Ehe« (hab' ich dir gesagt, Bruder Pit, dass sie sich von ihrem ersten Mann hat scheiden lassen, es ging nicht mehr, er war ein Säufer und schlug sie, ist an Delirium tremens gestorben) »und nachher, wie sie sich hat ihr Brot verdienen müssen, als Ladenfräulein und dann als Empfangsdame bei einem Arzt. Sie hat's nicht schön gehabt, weiss Gott nicht.« Dann schweigt er wieder. Ich will mit ein paar leichten Worten die Situation retten, das war doch peinlich, was er da sagte, mir, einem Ehemann Vorschriften zu machen, wie ich meine Frau zu behandeln habe; aber ich muss
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