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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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vernünftig, ich rede ruhig, aber ich muss mich zur Ruhe zwingen, denn ich bin ein jähzorniger Mensch, mein Vater ... ich habe das von meinem Vater ... Ich ziehe den Mantel aus, Pit behält den seinen an, hat die Hände in den Taschen vergraben und beobachtet mich. Beobachtet mich. Er sieht mich nicht etwa an, er hat einen abwesenden Blick, sehr starr, so, als wären seine Augen die beiden Linsen eines Aufnahmeapparats für stereoskopische Bilder. Mowgli hält den Kopf gesenkt, und da sehe ich plötzlich, wie mein Gegenüber, der Pit, seine Linsen senkt, und ich blicke auch hin, und weiss Gott, Mowgli lässt stillschweigend Tränen in ihren Schoss tröpfeln. Eine Märtyrerin, ich bitte dich, eine Märtyrerin, als ob ich der grausamste Ehemann wäre. Da hat mich die Wut gepackt, der Jähzorn, du weisst, und ich brülle los, das sei eine verdammt niederträchtige Schweinerei,wie man mir mitspiele, mich zum Haustyrannen stempeln wolle. Mowgli schluchzt. Pit schweigt. Ich rede mich immer mehr in Wut, ich fühle, dass ich rot werde, und schon damals hatte mir der Arzt dringend geraten, mich nicht aufzuregen, es könne böse Folgen haben, wegen meiner Korpulenz, die Blutzirkulation sei auch nicht, wie sie sein sollte, wegen meiner sitzenden Lebensweise, aber wie soll unsereiner zu Bewegung kommen ... Ich brülle also – »Finanzminister«, sagt der Pit und grinst unverschämt mit seinen Giraffenzähnen, »Sie sollten Ihre Frau anständiger behandeln«. »Sie«, sagt er, sonst sind es die gleichen Worte wie damals auf dem Spaziergang. Da packt mich erst recht die Wut, ich werfe ihm alles an den Kopf, was ich auf dem Herzen habe, er sei ein Vagant und so und störe das friedliche, harmonische Eheleben eines anständigen Menschen. Pit schweigt. Aber da muss ich Atem holen, ich habe starkes Herzklopfen, der Schweiss steht mir auf der Stirne, und da sagt Pit, während ich in allen Taschen nach meinem Nastuch suche, sagt Pit: »Jetzt sollte man Sie malen, Finanzminister!« Und Mowgli lacht, lacht unter Tränen, ein hohes, kreischendes Lachen, dass mir die Ohren weh tun und ich nur rufen möchte (nicht brüllen): »Hör auf! Hör auf!« Aber ich krieg' keinen Ton heraus. Dieser Hohn, wie ein Faustschlag in den Magen. Ich springe vor und haue dem Pit eine herunter. Ganz einfach eine Ohrfeige. Dazu gehörte Tapferkeit, weisst du, denn der Pit war anderthalb Kopf grösser als ich. Aber ich lange ihm eine, und dann weise ich ihm mit dem Finger die Tür, er soll meine Schwelle nicht mehr überschreiten, wir sind geschiedene Leute ... Und er geht, sieht traurig auf Mowgli, zuckt die Achseln, als ob er sagen wolle, er könne doch nicht helfen. Geht. Und dann höre ich seine Schritte droben in der Bodenkammer.
    Er ist dann noch eine Woche im Haus geblieben. Am nächsten Tag hat er sich bei mir entschuldigt, ist ins Büro zu mir gekommen. Ich war ganz kalt und ruhig, denn ich hatte die notwendigen Schritte schon unternommen. Vormundschaftsbehörde antelephoniert, Fall auseinandergesetzt,Kunstmaler, wissen Sie, verkommene Existenz, Talent, gewiss, aber haltloser Charakter, ja, nach meiner Meinung wäre eine zeitweilige Versorgung angebracht, das Gesuch an den Statthalter besorgen Sie? Danke. Werde mich erkenntlich zeigen. Adieu, Herr Doktor, hat mich sehr gefreut, – wie das bei uns so geht.
    Und sie wären ihn wirklich abholen gekommen; nach acht Tagen war die Sache perfekt. Aber ich hatte nicht schweigen können, mit Mowgli hatte ich mich versöhnt; wie sagte der Teddybär? »Denn du musst bedenken, Finanzminister, dass ihr zwei beide zusammengehört.« Und zusammengeblieben sind wir auch. Mowgli hat den Pit gewarnt, und wie man ihn holen wollte, war er fort, über die Grenze. Ich habe nie wieder von ihm gehört.
    Prost, junger Pit, Doppelgänger. Es kommt der Morgen. »Die bange Nacht ist nun herum«, haha, könnte man singen. Oder mit Heine: »Es ist eine alte Geschichte und bleibt doch ewig neu, und wem sie just passieret ...« Nun, mir ist das Herze nicht entzweigebrochen, im Gegenteil, unsere Ehe ist die harmonischste Ehe, die man sich denken kann. Ja, traurig ist Mowgli manchmal. Aber ich habe meinen festen Platz im Leben, ich bin unentbehrlich im Getriebe der Stadt... Mowgli ist manchmal traurig.
    Sag mal, Bruder Pit, wir müssen uns verabschieden, ich muss heim, obwohl morgen Sonntag ist und ich ausschlafen kann. Aber wie wär's ... Komm doch zum Mittagessen zu uns? Weisst du, ganz sans Facon, auf einen Bissen. Und dann lernst

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