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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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du das Mowgli kennen. Weisst du, ich bin nicht so. Man muss mit den Frauen Mitleid haben, es wird sie zerstreuen. Sicher ... Sie hat so lange keinen Teddybären gehabt, hehe. Jaja, wenn man älter wird, ein wenig kälter wird, bleibt allein nur der Wein ...

Nausikaa
    Wenden Sie bitte das Gesicht ein wenig von mir weg ... so ... jetzt ist es besser. Ihr Profil ist ein wenig hart, wie überhaupt Ihr Gesicht zwei verschiedene Ausdrücke hat ... Und diese Zweiheit ist das Interessante an Ihnen ... Nein, durchaus nicht, ich sage das nicht jedem Kunden, ich meine es wirklich ehrlich ... Sie glauben mir nicht? ... Ich weiss, ich weiss, Sie meinen, es sei eine erniedrigende Beschäftigung, sich den Kunden dieses Lokals allabendlich aufzudrängen und sie inständig zu bitten, sich abzeichnen zu lassen, der Lohn ist gering, und wenn Sie finden, dass meine Zeichnungen auch künstlerisch nichts taugen, so kann ich Ihnen nur Recht geben ... Aber was wollen Sie, man muss leben, ich bekomme keine Arbeitskarte hier in Frankreich, ich muss sehen, wie ich mich durchschlagen kann ... Und einen Vorteil hat ja diese Beschäftigung, ich habe die Nacht für mich, und am Tage kann ich schlafen; so vermeide ich es, gewisse Blicke zu sehen, Blicke ... Ich bin nämlich verheiratet ...
    Wenn Sie tanzen wollen, mein Herr, bitte ... Lassen Sie sich nicht abhalten, ich kann die Zeichnung auch später beenden. Und wenn ich Sie ein wenig beobachten kann, während Sie sich bewegen, so wird es dem Ausdruck, den ich Ihrer Physiognomie zu geben gedenke, nichts schaden. Es hängt doch alles zusammen. Der Gang und das rhythmische Schreiten übers Parkett, wenn Sie eine Frau im Arm halten – es sind gute Mädchen hier, geben Sie der Erwählten ein kleines Trinkgeld, und Sie werden mit Erstaunen feststellen, dass Sie plötzlich wunderbar tanzen können, auch wenn Sie in Ihrem Heimatland bei Hausbällen nie fähig gewesen sind, einen Tango zu tanzen. Es sind gute Mädchen, ich kann sie Ihnen warm empfehlen, sie werden Sie nicht ausplündern, im Gegenteil. Und wenn Sie sich ein wenig am Tanze erfreut haben, haben Sie vielleicht Zeit ... Gegendrei Uhr leert sich das Lokal, und dann können wir plaudern ... Ich plaudere gern ... Der Patron des Lokals ist mir wohlgeneigt, und wir können dann einige Flaschen Vouvray trinken, und ich erzähle Ihnen ... Lieben Sie Monologe? ... Ich erzähle übrigens interessant, ohne mich rühmen zu wollen ... Ich will Ihnen dann die Geschichte Nausikaas erzählen, Nausikaas, der Tochter des Phäakenkönigs, aber der Schluss wird anders sein als beim alten Homer ... Mein Odysseus hatte keine Penelope daheim, die auf ihn wartete, und darum hat meine Geschichte auch eine andere »moralite«. Geschichten sind wie Fabeln, sie müssen einen belehrenden Schluss haben, finden Sie nicht? ... Aber ich schwatze und schwatze, gehen Sie jetzt tanzen. Darf ich Ihnen Fräulein Berthe vorstellen? Berthe, du darfst dann mit uns eine Flasche Wein trinken, der Herr lädt dich ein. Tanze recht gut mit ihm, mein Kind, während ich an meiner Zeichnung herumstrichle und mir, mit Ihrer Erlaubnis, mein Herr, einen Cognac mit Selterswasser zu Gemüte führe. Mein Gemüt braucht derartige Stärkungen, es ist ein wenig abgestumpft und dennoch so zart, dass es leicht, sehr leicht umkippt, und dann gibt es Tränen ... Das wollen wir verhüten ...
    Sie sehen, meine Prophezeiung war richtig. Die Musik packt ihre Instrumente zusammen, der Chasseur bringt den letzten Pärchen ihre Garderobe, manchmal, wenn die Tür sich öffnet, hören Sie das Surren eines Anlassers, müde, wie das Summen einer Hummel im Herbst ... Wollen wir Wein trinken? Er ist nicht teuer ... Ich will Ihnen gestehen, dass ich zehn Prozent vom Preis der Flasche bekomme, ich werde sie redlich mit Fräulein Berthe teilen; denn Berthe braucht Geld. Sie hat eine kranke Schwester daheim – früher war sie ... Aber das interessiert Sie wohl nicht... Setz dich neben den Herrn, mein Kind, er wird nichts dagegen haben. Gib ihm die Geduld, die er nötig haben wird, um mir zuzuhören, und wenn du müde bist, mein Kind, leg deinen Kopf an seine Schulter, er wird nichts dagegen haben ... Und er wird es auch nicht seiner Frau erzählen... Frauen brauchen nicht alles zu wissen ... Übrigens, hier ist Ihr Bild. Gefällt es Ihnen? Ein wenig merkwürdig vielleicht, aber das schadet nichts. Ich kann Ihnen ein Geschäft empfehlen, dort werden Sie einen passenden Rahmen finden. Nein, haben Sie keine Angst, dort

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