Erzählungen
Insel, und der mich fand, war ein kleiner Plantagenbesitzer. Er hatte Reben und Ananas, er exportierte brav und fleissig, er tyrannisierte die andern Bewohner der Insel – er hatte sich das Exportmonopol gesichert ... Glauben Sie nicht auch, dass jener Vater der Nausikaa, der König der Phäaken, etwas Ähnliches gewesen ist? König? Was waren damals schon Könige? Grossbauern wahrscheinlich, schlau wie unsere Bauern ... Und sie trieben Handel, verkauften ihre gemästeten Kälber, vielleicht exportierten sie Pferde und Wein nach Ithaka ... Sie hatten Sklaven und Diener, sie hatten sicher auch Missernten, und ich bin überzeugt, es gab bei ihnen auch Krisenzeiten und eine soziale Frage ... Aber Homer erzählt uns leider nichts davon ...
Der Bauer, der mich fand, der ungekrönte König der Insel, hatte nur eine Tochter. Sie war sechzehn Jahre alt, trug lange schwarze Zöpfe, und dazu waren ihre Augen blau ... Ich blieb auf der Insel zwei Monate, ich zeichnete Nausikaa, und Nausikaa liebte mich ... Nein, das ist keine Eitelkeit. Zeigen Sie mir ein junges, naives Mädchen, das sich nicht in einen weitgereisten Mann verliebt ... Viele sind nicht einmal so erpicht auf Tenöre, glauben Sie mir ... Giganten der Landstrasse und des Meeres sind ihnen manchmal lieber ... Mein Gott, eine alte Wahrheit! Junge Mädchen lieben die Liebe, und sie haben Sinn für Heldentum, auchwenn das Heldentum uns ein wenig abgeschmackt vorkommt. Schelten Sie sie darum nicht ... Berthe, mein Kind, du bist müde, der Rauch brennt dir in den Augen, lass deine Lider darüber fallen und lehn den Kopf an die kräftige Schulter des Herrn, der uns diesen Abend schenkt ... Aber bleib noch ein wenig bei uns. Ich brauche deine Gegenwart, und meine Worte klingen besser, wenn du auch flüchtig nur ihnen lauschest.
Ich hätte sie heiraten können, die kleine Nausikaa auf der Insel Graziosa, dann wäre ich der Nachfolger geworden des ungekrönten Königs, hätte das Exportmonopol geerbt ... aber wahrscheinlich wäre ich schon lange vorher in der fruchtbaren Erde der Insel begraben worden. Am Ende der ersten Woche schon, kaum erholt, musste ich einige portugiesische Jünglinge verboxen, und ich war froh, dass ich oft die Schule geschwänzt hatte, um boxen zu lernen. Ich hatte einen guten Schlag mit der linken Hand – der ist mir oft zustatten gekommen. Aber diese Portugiesen kamen gleich mit dem Messer – das war ungemütlich. Mein rechter Unterarm war gewöhnlich verbunden. So war ich froh, dass ich mich einmal auf einem Schiff des Königs von Graziosa verstecken konnte, das nach Vigo fuhr. Nausikaa weinte nicht, als ich Abschied nahm. Übrigens, ich weiss gar nicht mehr, wie sie in Wirklichkeit hiess ...
Trinken wir noch eine Flasche? Bleiben Sie ruhig sitzen, sonst stören Sie Berthe, das arme Kind. Wissen Sie, dass dieses kleine Mädchen sehr tapfer ist und dazu noch »honnete«, wie wir hier sagen? Unglaublich, aber wahr. Die Stammgäste haben sie lieb. Man kann sprechen mit ihr, sie ist klug, das Kind, und es gibt immer noch Männer, die solche Eigenschaften zu schätzen wissen. Wenn manchmal ein Mann, ein Betrunkener meistens, allzu zudringlich wird, flüchtet das Kind zu mir. Ich habe auch hier schon boxen müssen, der Patron war wütend, fast hätte er mir sein Lokal verboten, aber dann hat er es sein lassen. Ich bin so etwas wie eine Attraktion, eine bescheidene natürlich. Und manchmal kann ich Betrunkene sogar ohne Uppercut beruhigen... Das sind ganz wertvolle Kenntnisse, glauben Sie mir, in solch einer Umgebung ...
Gunumai se anassa ... Ich knie vor dir, o Jungfrau, seist göttlich du oder sterblich ... Warum kann ich diese Hexameter nicht mehr vergessen? Neunundneunzig von Hundert lesen sie in der Griechischstunde, neunundneunzig vergessen sie, und beim Hundertsten klingen sie nach, ein Leben lang, bestimmen das Leben, biegen es ab. Mein Lehrer, sein Bart war lang und grau, nicht kurzgelockt wie der meinige, er trug kleine Ziffern in sein Büchlein ein, und mir gab er einmal eine sechs, das war die beste Note, weil ich die Stelle auswendig gelernt hatte, jene Stelle, die beginnt: Gunumai se anassa ... Anassa! Wieviel schöner ist das Wort als unseres: Jungfrau! Vierge, Virgo, die Worte der anderen Sprachen, sie sind alle dumpf, sie haben nicht das Königliche, den weissschreitenden Gang wie das alte griechische »Anassa« ...
Damals bin ich glücklich in Vigo angekommen. Den Magen hatte ich mir ein wenig verdorben ... Zu viele Ananas,
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