Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
man meine Liege in die Nachbarschaft Roman Kriwizkijs, des verantwortlichen Sekretärs der »Iswestija«, eines Namensvetters, aber nicht Verwandten des bekannten Stellvertretenden Ministers der Streitkräfte – den Ruchimow erschossen hatte.
Roman Kriwizkij war erfreut über die Nachbarschaft und erzählte etwas von sich, aber das Aufgedunsene, Aufgeschwemmte seiner weißen Haut erschreckte Kalambet. Roman Kriwizkij starb neben mir. Sein ganzes Interesse galt natürlich dem Essen, so wie bei uns allen. Aber Roman, noch früher zum
dochodjaga
geworden, tauschte Suppe gegen Grütze, Grütze gegen Brot, Brot gegen Tabak – all das körnerweise, prisenweise, grammweise. Dennoch waren das tödliche Verluste. Roman starb an Dystrophie. Das Bett meines Nachbarn wurde frei. Es war keine gewöhnliche Stangenpritsche. Kriwizkijs Bett hatte Sprungfedern, ein echtes Netz und runde gestrichene Seitenwände, ein richtiges Krankenhausbett unter zweihundert Liegen. Das war auch eine Grille des schweren Dystrophikers gewesen, und Kalembet hatte ihr nachgegeben.
Und jetzt sagte Kalembet: »Hör zu, Schalamow, du hast keine Dysenterie, aber ausgezehrt bist du. Du kannst zwei Wochen bleiben und Sanitäter sein, du wirst Fieber messen, die Kranken begleiten, den Boden wischen. Kurz, all das, was Makejew macht, der jetzige Sanitäter. Er liegt schon zu lange, mäkelt am Essen herum und geht heute zur Entlassung. Entscheide dich. Hab keine Angst, dass du jemandem etwas wegnimmst. Viel verspreche ich dir nicht, aber zwei Wochen halte ich dich auf der ›Krankengeschichte‹.«
Ich war einverstanden, und an meiner Stelle wurde Makejew entlassen, der Protegé eines Vertragsarbeiters und Feldschers, Michno war sein Name.
Hier gab es einen Kampf, einen ernsten Krieg um Einfluss, und der Feldscher Michno, Vertragsarbeiter und Komsomolze, sammelte einen Stab für den Kampf gegen eben jenen Kalembet. Kalembets Akte war mehr als angreifbar – ein Trupp von Zuträgern, angeführt von Michno, wollte den Abteilungschef an die Kandare nehmen. Aber Kalembet schlug zurück und entließ den Vertrauten Michnos, den
bytowik
Makejew, ins Bergwerk.
All das begriff ich später, in diesem Moment machte ich mich eifrig an die Arbeit als Sanitäter. Doch fehlte mir nicht nur die Makejewsche, sondern jede Kraft. Ich war zu wenig rührig, zu wenig ehrerbietig gegenüber den Oberen. Kurz, gleich am Tag nach der Versetzung Kalembets wurde ich hinausgeworfen. Doch bis dahin, in diesem einen Monat, hatte ich Lesnjak kennengelernt. Und eben Lesnjak hatte mir eine ganze Reihe von wichtigen Ratschlägen gegeben. Lesnjak sagte: »Lass dir einen Einweisungsschein geben. Wenn du einen Einweisungsschein hast, wird man dich nicht zurückschicken, dir die Hospitalisierung nicht verweigern.« Boris mit seinen guten Ratschlägen verstand nicht, dass ich schon lange ein
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war, dass keine Arbeit, selbst die allersymbolischste wie Korrespondenz, die gesündeste wie Beeren- und Pilzesammeln oder Holzeinschlag und Fischfang – ohne jede Norm, an der frischen Luft – mir noch helfen kann.
Dennoch tat Boris all das gemeinsam mit Nina Wladimirowna und wunderte sich, wie wenig meine Kräfte zurückkehrten. Ich konnte mich nicht auf Tuberkulose oder Nephritis berufen, und mit Auszehrung, mit alimentärer Dystrophie an der Krankenhaustür vorzusprechen war riskant, man konnte durchfallen und landete nicht im Krankenhaus, sondern in der Morgue. Nur mit großer Mühe gelang es mir, noch einmal ins Krankenhaus zu kommen, aber es gelang. Der Feldscher des Vitaminpunkts, ich habe seinen Namen vergessen, schlug mich, er ließ mich jeden Tag beim Ausrücken vom Begleitposten schlagen – als Faulenzer, Drückeberger, Spekulant und Verweigerer – und lehnte meine Hospitalisierung rundweg ab. Mir gelang es, den Feldscher zu betrügen, nachts wurde mein Name auf eine fremde Einweisung dazugeschrieben – der Feldscher war beim ganzen Lagerpunkt verhasst, man war froh, mich so auf Kolyma-Art zu unterstützen, und ich schleppte mich nach »Belitschja«. Sechs Kilometer kroch ich auf allen vieren, doch ich schleppte mich bis in die Aufnahme. Die Dysenterie-Zelte standen leer, und ich wurde ins Hauptgebäude gelegt – wo der Arzt Pantjuchow war. Wir alle, vier neue Kranke, schichteten sämtliche Matratzen und Decken auf uns – wir lagen zusammen und klapperten auch zusammen mit den Zähnen bis zum Morgen –, der Ofen wurde nicht in allen Sälen geheizt. Am folgenden Tag verlegte
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