Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
guter Letzt kannte ich sämtliche hohen Chefs an der Kolyma, angefangen von Bersin selbst: Waskow , Majssuradse, Filippow, Jegorow, Zwirko.
Mit der Lagertradition bekannt, bin ich niemals aus den Reihen der Häftlinge hervorgetreten, um eine Bitte an einen mir persönlich bekannten Chef zu richten, auf mich aufmerksam zu machen.
In der »Juristenaffäre« bin ich nur zufällig einer Kugel entgangen, Ende 1938 im Bergwerk »Partisan«, während der Erschießungen an der Kolyma. In der »Juristen-Affäre« richtete sich die gesamte Provokation gegen den Vorsitzenden des Dalkraj -Gerichts Winogradow. Man warf ihm vor, er habe seinem Kollegen von der Fakultät für Sowjetisches Recht Dmitrij Sergejewitsch Parfentjew, dem ehemaligen Staatsanwalt von Tscheljabinsk und Staatsanwalt von Karelien, Brot gegeben und ihn zur Arbeit eingestellt.
Bei seinem Besuch im Bergwerk »Partisan« hatte es der Vorsitzende des Dalkraj-Gerichts Winogradow nicht für nötig gehalten, seine Bekanntschaft mit dem Hauer – Professor Parfentjew – zu verbergen, und er hatte den Bergwerkschef L.M. Anissimow gebeten, Parfentjew zu einer leichteren Arbeit einzusetzen.
Der Befehl wurde sofort ausgeführt und Parfentjew zum Hämmerer bestimmt – eine leichtere Arbeit fand sich im Bergwerk nicht, aber immerhin nicht im Wind bei sechzig Grad Frost in der offenen Grube, nicht das Brecheisen, nicht die Schaufel, nicht die Hacke. Zwar die Schmiede mit einer halbgeöffneten Flügeltür, mit offenen Fenstern, aber trotzdem ist dort das Feuer des Schmiedeherds, dort kann man wenn nicht der Kälte, so doch dem Wind entgehen. Und der Trotzkist Parfentjew, der Volksfeind Parfentjew war an einer Lunge operiert wegen Tuberkulose.
Den Wunsch Winogradows erfüllte der Chef des Bergwerks Partisan Leonid Michajlowitsch Anissimow, doch er schrieb sofort einen Rapport an alle gebotenen und denkbaren Instanzen. Die »Juristen-Affäre« war eingeleitet. Hauptmann Stolbow, der SPO -Chef von Magadan, verhaftete alle Juristen an der Kolyma, prüfte ihre Verbindungen, bemaß die Fangschlinge der Provokation, warf sie aus und zog sie straff.
Im Bergwerk »Partisan« wurden Parfentjew und ich verhaftet, nach Magadan gebracht und ins Magadaner Gefängnis gesetzt.
Doch am Tag darauf wurde Hauptmann Stolbow selbst verhaftet und sämtliche auf von ihm unterzeichnete Anweisungen hin Verhafteten freigelassen.
Ich habe davon ausführlich in meiner Erzählung »Die Juristenverschwörung« erzählt, in der jeder Buchstabe dokumentarisch ist.
Entlassen wurde ich nicht in die Freiheit, die Freiheit der Kolyma verstanden als die freie Unterbringung gleichfalls im Lager, jedoch in der allgemeinen Baracke und mit denselben Rechten wie die anderen. An der Kolyma gibt es keine Freiheit.
Entlassen wurde ich gemeinsam mit Parfentjew ins Durchgangslager, in ein Dreißigtausender Transitlager – entlassen mit einem besonderen lila Stempel auf der Akte: »Eingetroffen aus dem Gefängnis Magadan«. Dieser Stempel verdammte mich auf unendliche Jahre dazu, unter der Laterne der Wachsamkeit, unter der Aufmerksamkeit der Leitung zu stehen, bis der lila Stempel auf der alten Akte ersetzt wurde durch den neuen reinen Umschlag einer neuen Akte, einer neuen Haftstrafe. Gut noch, wenn diese neue Strafe nicht »in Gewicht« verabreicht wurde – einer Kugel von sieben Gramm. Übrigens, ob gut oder nicht, die »in Gewicht« verabreichte Strafe hätte mich von vielen weiteren Qualen befreit, vieljährigen Qualen, die niemand brauchte, nicht einmal ich selbst zur Vergrößerung meiner seelischen oder moralischen Erfahrung und physischen Stärke.
Meiner ganzen Wanderschaft nach der Verhaftung in der »Juristenaffäre« im Bergwerk »Partisan« eingedenk, habe ich es mir jedenfalls zur Regel gemacht: Wende dich niemals aus eigener Initiative an Bekannte und ruf die Geister des Festlands nicht an die Kolyma.
Aber im Fall Sybalowas schien mir aus irgendeinem Grund, dass ich der Besitzerin dieses Namens keinen Schaden zufüge. Sie war ein guter Mensch, und wenn sie einen Unterschied machte zwischen einem Freien und einem Häftling, dann nicht als aktive Feindin des Häftlings – das bringt man allen Vertragsarbeitern in allen Politabteilungen des Dalstroj schon bei Vertragsabschluss bei. Der Häftling spürt in einem Freien immer eine Nuance: steht etwas in den Verträgen, das über die staatlichen Dienstanweisungen hinausgeht, oder nicht. Die Nuancen sind hier zahlreich – so zahlreich wie die
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