Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
Kräfte ein, in vollem Einvernehmen mit den Traditionen der Natur, die Arkagala zu Hilfe eilten.
Pjotr Jakowlewitsch Podossenow, Galina Pawlownas Mann, wurde getötet. Ein Ausgang wie bei Aischylos. Mit gut studierter Sujetsituation. Podossenow wurde in der winterlichen Dunkelheit von einem passierenden Fahrzeug überfahren und starb im Krankenhaus. Solche Autounfälle sind an der Kolyma häufig, und von der Möglichkeit eines Selbstmords wurde gar nicht gesprochen. Und er hätte sich auch nicht umgebracht. Er war ein wenig Fatalist: Wenn es nicht sein soll, soll es nicht sein. Wie sich aber zeigte, sollte es doch sein, allzu sehr sollte es sein. Man hätte Podossenow eben nicht töten müssen. Tötet man etwa für einen guten Charakter? Natürlich, an der Kolyma ist das Gute Sünde, aber auch das Böse ist Sünde. Dieser Tod entschied nichts, löste, zerschnitt keine Knoten – alles blieb beim Alten. Man sah nur, dass sich die höheren Kräfte interessierten für diese kleine, winzige Kolyma-Tragödie, sich interessierten für ein Frauenschicksal.
Auf die Stelle von Galina Pawlowna kam ein neuer Chemiker, ein neuer Leiter. Gleich mit der ersten Anweisung entließ er mich, das hatte ich erwartet. In Hinsicht auf die Häftlinge – und auch die Freien, scheint mir – kommt die Leitung an der Kolyma ohne Formulierung von Gründen aus, und ich erwartete auch keinerlei Erklärung. Das wäre zu literarisch, zu sehr nach dem Geschmack der russischen
Klassiker. Der Lager-Einsatzleiter brüllte einfach beim morgendlichen Ausrücken meinen Namen unter denen der Häftlinge von der Liste, die in den Schacht geschickt werden, ich stellte mich ins Glied, richtete die Handschuhe, der Begleitposten zählte uns, gab das Kommando, und ich nahm den gut bekannten Weg.
Galina Pawlowna habe ich niemals mehr wiedergesehen.
1970-1971
Ljoscha Tschekanow, oder Mitangeklagte an der Kolyma
Ljoscha Tschekanow, ein Bauernjunge und ausgebildeter Bautechniker, war im Frühling und Sommer 1937 mein Pritschennachbar in Zelle 69 des Butyrka-Gefängnisses.
Als starosta der Zelle hatte ich Ljoscha Tschekanow, wie auch vielen anderen, erste Hilfe erwiesen: Ich gab ihm die erste Spritze, eine Injektion mit einem Elixier aus Munterkeit, Hoffnung, Kaltblütigkeit, Zorn und Eigenliebe – die komplexe Arzneimischung, die der Mensch im Gefängnis braucht, besonders der Neuling. Dasselbe Gefühl drücken die Ganoven – und die jahrhundertlange Erfahrung kann man ihnen nicht absprechen – in den bekannten drei Geboten aus: glaube nichts, fürchte nichts und bitte um nichts.
Ljoscha Tschekanows Geist war gestärkt, und im Juli fuhr er in die fernen Regionen an der Kolyma. Ljoscha war am selben Tag verurteilt worden wie ich, verurteilt nach demselben Artikel zu derselben Haftzeit. Wir wurden in einem gemeinsamen Waggon an die Kolyma gebracht.
Wir hatten die Tücke der Leitung unterschätzt – aus einem Paradies auf Erden sollte sich die Kolyma zu unserer Ankunft in eine Hölle auf Erden verwandeln.
Wir wurden zum Sterben an die Kolyma gebracht, und von Dezember 1937 an warf man uns in Garanins Erschießungen, in die Schläge und den Hunger. Listen der Erschossenen wurden Tag und Nacht verlesen.
Alle, die nicht an der Serpantinnaja umkamen – dem Untersuchungsgefängnis der Bergwerksverwaltung, dort wurden 1938 zum Knattern der Traktoren Zehntausende erschossen –, erschoss man nach Listen, die jeden Tag zum Orchester, zum Tusch zwei Mal täglich beim Ausrücken, zur Tag- und zur Nachtschicht, verlesen wurden.
Zufällig am Leben geblieben nach diesen blutigen Ereignissen, entkam ich nicht dem mir noch in Moskau zugemessenen Los: 1943 erhielt ich eine neue zehnjährige Haftstrafe.
Ich lief Dutzende Male »auf Grund«, wanderte vom Bergwerk ins Krankenhaus und zurück und fand mich im Dezember dreiundvierzig auf einer winzigen Außenstelle, die ein neues Bergwerk baute, »Spokojnyj«.
Die Vorarbeiter oder, wie man sie an der Kolyma nennt, die Aufseher waren für mich Personen von zu hohem Rang, mit einer besonderen Mission, mit einem besonderen Schicksal, deren Lebenslinien sich nicht mit meinen kreuzen konnten.
Unseren Vorarbeiter hatte man irgendwohin versetzt. Jeder Häftling hat ein Schicksal, das mit den Schlachten zwischen irgendwelchen höheren Kräfte verflochten ist. Der Häftling und Mensch oder Mensch und Häftling wird, ohne das selbst zu wissen, zum Werkzeug einer ihm fremden Schlacht und kommt um, und er weiß wofür, aber weiß
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