Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
Achtundfünfzigern verboten. Möglich ist die Arbeit mit dem Pferd – Pferdetreiber werden von den Achtundfünfzigern genommen. Aber ein Pferd ist ein zartes Geschöpf und anfällig für alle möglichen Krankheiten. Von seiner nördlichen Brotration stehlen die Stallknechte, die Chefs der Stallknechte und die Pferdetreiber. Bei sechzig Grad Frost verkümmert und stirbt das Pferd schneller als der Mensch. Es gibt so viele zusätzliche Sorgen, dass die Schubkarre einfacher, besser erscheint als die Lore, ehrlicher vor dir selbst, näher am Tod.
Der staatliche Plan reicht bis ans Bergwerk, bis an den Abschnitt, bis an die Grube, an die Brigade, an die Gruppe. Eine Brigade besteht aus Gruppen, und für jede Gruppe werden Schubkarren ausgegeben, zwei oder drei, so viele wie nötig, bloß nicht eine!
Darin besteht das große Produktionsgeheimnis, das
katorga
-Geheimnis der Kolyma.
Es gibt eine weitere Arbeit in der Brigade, eine ständige Arbeit, von der jeder Arbeiter am Morgen jedes Tages träumt – das ist die Arbeit des Werkzeugträgers.
Die Hacken werden schnell stumpf beim Schlagen auf Stein. Die Brecheisen werden schnell stumpf. Gutes Werkzeug zu verlangen ist das Recht der Sklaven, und die Leitung ist bestrebt, alles zu tun, damit das Werkzeug, die Schaufel bequem und das Schubkarrenrad gut geschmiert ist.
Jeder Abschnitt der Goldgewinnung hat eine eigene Schmiede, in der der Schmied und der Hämmerer rund um die Uhr eine Hacke strecken, ein Brecheisen schärfen können. Der Schmied hat viel Arbeit, und das ist der einzige Augenblick, in dem der Häftling Atem schöpfen kann – wenn er kein Werkzeug hat, es in die Schmiede getragen wurde. Natürlich sitzt er nicht herum – er harkt die Grube, füllt die Schubkarre. Und trotzdem …
Und diese Arbeit als Werkzeugträger hätte jeder gern, auch nur für einen Tag, auch nur bis zum Mittagessen.
Die Frage der Schmieden ist von der Leitung gut durchdacht. Es gab viele Vorschläge, diese Werkzeugwirtschaft zu verbessern, diese Verfahren zu ändern, die der Planerfüllung im Weg stehen, damit die Hand der Leitung noch schwerer auf den Schultern der Häftlinge liegt.
Besteht hier nicht eine Ähnlichkeit mit den Ingenieuren, die an der technischen Lösung des wissenschaftlichen Problems des Baus einer Atombombe arbeiteten? Mit der Überlegenheit der Physik – wie Fermi und Einstein sagten?
Was habe ich mit einem Menschen, einem Sklaven zu tun. Ich bin Ingenieur und für technische Fragen verantwortlich.
Ja, an der Kolyma, bei dem Kollegium, wie man die Arbeit in der Goldmine besser organisieren, das heißt, wie man besser umbringen, schneller umbringen kann, trat ein Ingenieur auf und sagte, dass er die Kolyma von Grund auf verändern wird, wenn man ihm Feldschmieden gibt, mobile Feldschmieden. Dass sich dann mit Hilfe dieser Feldschmieden alles entscheiden wird. Es wird unnötig sein, die Werkzeuge hinzutragen. Die Werkzeugträger sollen an die Schubkarrengriffe gehen und durch die Grube laufen, statt in der Schmiede zu warten und alle Welt aufzuhalten.
In unserer Brigade war der Werkzeugträger ein Junge, ein sechzehnjähriger Schüler aus Jerewan, der beschuldigt wurde, ein Attentat auf Chandshjan begangen zu haben – den Ersten Sekretär des Jerewaner Regionskommitees. Der Junge hatte ein Urteil über zwanzig Jahre Haft, und er starb sehr schnell – er konnte die Härten des Kolyma-Winters nicht ertragen. Viele Jahre später erfuhr ich aus den Zeitungen die Wahrheit über den Mord an Chandshjan. Wie sich zeigte, hatte Berija Chandshjan eigenhändig in seinem Kabinett erschossen. Diese ganze Sache, der Tod des Schülers in der Grube an der Kolyma, hat sich mir zufällig eingeprägt.
Ich wäre sehr gern wenigstens einen Tag lang Werkzeugträger gewesen, aber ich verstand, dass der Junge, ein Schüler mit erfrorenen Fingern in den schmutzigen Fäustlingen und mit Hungerglanz in den Augen, ein besserer Kandidat war als ich.
Mir blieb nur die Schubkarre. Ich sollte hacken können, mit der Schaufel umgehen, bohren können – ja, ja, aber in dieser steinigen Grube im Goldtagebau zog ich die Schubkarre vor.
Die Goldsaison ist kurz – von der zweiten Maihälfte bis Mitte September. Aber bei einer Tageshitze von vierzig Grad im Juli haben die Häftlinge unter den Füßen Eiswasser. Sie arbeiten in Gummi tschuni . An Gummi
tschuni
, wie auch an Werkzeug, mangelt es in den Gruben.
Auf dem Grund des Tagebaus – einer steinigen Grube von unregelmäßiger Form
Weitere Kostenlose Bücher