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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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– sind dicke Bretter verlegt, nicht einfach so, sondern starr miteinander verbunden zu einer besonderen Konstruktion, dem zentralen Steg. Die Breite dieses Stegs beträgt einen halben Meter, nicht mehr. Der Steg ist stabil befestigt, damit die Bretter nicht durchhängen, damit das Rad nicht eiert, damit der Karrenschieber seine Schubkarre rennend rollen kann.
    Dieser Steg ist etwa dreihundert Meter lang. Ein Steg stand in jeder Grube, er war Teil der Grube, die Seele der Grube, der
katorga
-Handarbeit mit der kleinen Mechanisierung.
    Vom Steg gehen Abzweige aus, viele Abzweige – in jeden Schurfgraben, in jedes Eckchen der Grube. Zu jeder Brigade führen Bretter, nicht ganz so gründlich befestigt wie am zentralen Steg, aber ebenfalls solide.
    Wenn die Lärchenblöcke des zentralen Stegs vom irren Kreisen der Schubkarren zerrieben sind – die Goldsaison ist kurz –, werden sie durch neue ersetzt. Genau wie die Menschen.
    Auf den zentralen Steg musste man geschickt herausfahren: die Schubkarre von seinem Steg her schieben, wenden, ohne das Rad in die Hauptspur zu führen, die in der Mitte des Bretts abgerieben ist und sich als schmales Band oder Schlange hinzieht – übrigens, Schlangen gibt es nicht an der Kolyma –, vom Schurfgraben bis zur Förderbrücke, ganz vom Anfang bis ganz ans Ende, bis zum Trichter. Wichtig war, wenn man die Schubkarre bis zum zentralen Steg gefahren hatte, sie zu wenden, sie dabei mit den eigenen Muskeln im Gleichgewicht zu halten und sich im richtigen Moment in die irre Jagd auf dem zentralen Steg einzureihen – dort wird ja nicht überholt, nicht überflügelt, es gibt keinen Platz zum Überholen, und du musst deine Karre im Galopp hoch, hoch, hoch über den langsam auf den Stützen ansteigenden zentralen Steg, unentwegt hoch fahren, im Galopp, damit dich die gut Genährten oder die Neulinge nicht vom Weg abbringen.
    Hier darfst du nicht schlafen, musst dich in Acht nehmen, dass man dich nicht umrennt, bis du die Karre auf die Förderbrücke von etwa drei Metern Höhe herausgefahren hast, weiter brauchst du nicht zu fahren – dort ist der hölzerne Trichter, mit Brettern verkleidet, und du musst die Schubkarre in den Trichter kippen, in den Trichter schütten – weiter hast du nichts damit zu tun. Unter der Förderbrücke läuft der Eisenwagen, und diesen Wagen fährst nicht du zur Waschanlage, zur Waschtrommel. Der Wagen läuft auf Gleisen zur Waschtrommel – zur Waschanlage. Aber damit hast du nichts zu tun.
    Du musst die Schubkarre mit den Griffen nach oben schleudern, wenn du sie über dem Trichter ausleerst – der größte Schick! –, und dann die leere Schubkarre auffangen und rasch beiseite gehen, um dich umzuschauen, ein wenig Atem zu holen und den Weg für jene frei zu machen, die noch gut ernährt werden.
    Zurück von der Förderbrücke zur Grube führt ein Reservesteg – aus alten, auf dem zentralen Steg abgenutzten, aber ebenfalls guten, fest vernagelten Brettern. Mach den Weg frei für die, die rennen, lass sie vorbei, nimm deine Schubkarre vom Steg – den Warnschrei wirst du hören –, wenn du nicht willst, dass man dich hinunterstößt. Atme irgendwie durch, wenn du die Schubkarre säuberst oder den anderen den Weg freimachst, denn denk daran: Wenn du zurückkommst über den leeren Steg in deine Grube – wirst du keinen Moment durchatmen, auf dem Arbeitssteg erwartet dich eine neue Schubkarre, die deine Kameraden gefüllt haben, während du die Schubkarre auf die Förderbrücke schobst.
    Darum denk daran – die Kunst des Schubkarreschiebens besteht auch darin, dass man die leere Karre über den Leersteg keineswegs so zurückfährt, wie man die beladene gefahren hat. Die leere Schubkarre muss man aufrichten, mit dem Rad voran schieben. Dann hat man eine Atempause, Kräfteersparnis und Abfluss des Bluts aus den Armen. Zurück kommt der Karrenschieber mit erhobenen Armen. Das Blut fließt ab. Der Karrenschieber schont seine Kräfte.
    Wenn du deine Karre bis zu deiner Grube gerollt hast, wirfst du sie einfach hin. Für dich steht eine andere Karre auf dem Arbeitssteg bereit, und ohne Beschäftigung, ohne Bewegung, ohne sich zu regen darf in der Grube niemand stehen – zumindest niemand mit Artikel achtundfünfzig. Unter dem strengen Blick des Brigadiers, des Aufsehers, des Begleitpostens, des Chefs des Lagerpunkts, des Bergwerkschefs packst du die Griffe der anderen Schubkarre und fährst auf den zentralen Steg – das nennt sich auch Fließband, die

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