Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
mir rief: »Legen Sie doch ab und zeigen Sie diesen Tolpatschen, dass ein Kolymabewohner alles kann, jede Arbeit gelernt hat.«
»Nein«, sagte ich. »An der Kolyma habe ich nur gelernt, eine Schubkarre zu schieben. Und Stein zu hacken.«
Tatsächlich habe ich keinerlei Kenntnisse, keinerlei Fertigkeiten von der Kolyma mitgebracht.
Aber ich weiß mit meinem ganzen Körper, verstehe und kann es zeigen, wie man eine Schubkarre schiebt, fährt.
Wenn du dich an die Schubkarre machst, die verhasste große (zehn Schubkarren – ein Kubikmeter) oder die »beliebte« kleine, dann ist das erste für den Karrenschieber – sich aufzurichten. Den ganzen Körper aufzurichten, gerade zu stehen und die Arme hinter dem Rücken zu halten. Die Finger beider Hände müssen fest die Griffe der beladenen Schubkarre umfassen.
Den ersten Impuls zur Bewegung gibt der ganze Körper, der Rücken, die Beine, die Muskeln des Schultergürtels – so, dass der Druck auf dem Schultergürtel liegt. Wenn die Karre angefahren ist, das Rad sich bewegt, kann man die Arme ein wenig vorstrecken und den Schultergürtel ein wenig lockern.
Das Rad sieht der Karrenschieber nicht, er spürt es nur, und alle Wenden werden auf gut Glück gemacht, von Anfang bis Ende des Wegs. Die Muskeln der Schulter und des Unterarms sind geeignet, die Schubkarre zu drehen, ins Gleichgewicht zu bringen und auf der Förderbrückensteigung hochzuschieben. Beim Bewegen der Schubkarre über den Steg selbst sind diese Muskeln nicht die wichtigsten.
Die Einheit von Rad und Körper, die Richtung und das Gleichgewicht werden vom gesamten Körper, von Hals und Rücken nicht weniger gestützt und gehalten als vom Bizeps.
Solange der Automatismus dieser Bewegung, dieser Übertragung der Kraft auf die Schubkarre, das Schubkarrenrad, nicht entwickelt ist – ist man noch kein Karrenschieber.
An die erworbenen Fertigkeiten aber erinnert sich der Körper sein Leben lang, ewig.
An Schubkarren gibt es an der Kolyma drei Sorten: die erste, gewöhnliche »Goldgräber«-Schubkarre mit einem Fassungsvermögen von 0,03 Kubikmeter, drei Hundertstel Kubikmeter, dreißig Karren auf einen Kubikmeter Erde. Wieviel wiegt so eine Schubkarre?
Zur Saison des Jahres siebenunddreißig wurden die Goldgräberschubkarren als beinahe schädlingshafte Untergrößen aus den Goldgruben der Kolyma verbannt.
Die GULag- oder Bersinschubkarren hatten zur Saison der Jahre siebenunddreißig und achtunddreißig ein Fassungsvermögen von 0,1-0,12 Kubikmeter und nannten sich große Schubkarren. Zehn Schubkarren machten einen Kubikmeter. Hunderttausende solcher Schubkarren wurden für die Kolyma hergestellt und vom Festland hergeschafft, eine wichtigere Fracht als Vitamine.
Es gab in den Bergwerken auch Metallschubkarren, ebenfalls auf dem Festland hergestellt, genietet, aus Eisen. Diese Schubkarren hatten ein Fassungsvermögen von 0,075 Kubikmeter, doppelt so viel wie die Goldgräberschubkarren, aber sie stellten die Chefs natürlich nicht zufrieden. Der GULag nahm Fahrt auf.
Diese Schubkarren taugten nicht für die Gruben an der Kolyma. Etwa zwei Mal in meinem Leben musste ich an einer solchen Schubkarre arbeiten. Sie hatten einen Konstruktionsfehler – der Karrenschieber konnte sich nicht aufrichten, wenn er die Karre schob –, die Einheit von Körper und Metall war verfehlt. Mit einer Holzkonstruktion verträgt sich der Körper des Menschen gut, verbindet er sich leicht.
Diese Schubkarre konnte man nur vorwärts schieben, wenn man einen Buckel machte, und das Rad fuhr von selbst vom Steg. Ein Mann allein konnte die Schubkarre nicht auf den Steg stellen. Er brauchte Hilfe.
Die Metallschubkarren konnte man nicht an den Griffen halten, wenn man sich aufrichtete und die Karre vorwärts schob, und die Konstruktion, die Länge der Griffe, den Neigungswinkel zu verändern, war nicht möglich. So dienten auch diese Schubkarren ihre Zeit ab und quälten die Menschen mehr als die großen.
Ich hatte Gelegenheit, die Abrechnungen für die »Hauptproduktion«, für das »erste Metall« der Kolyma zu sehen – wenn man daran denkt, dass die Statistik eine Lügenwissenschaft ist und man niemals eine genaue Zahl publiziert. Doch selbst wenn man die mitgeteilte Zahl offiziell akzeptiert, auch dann wird der Leser und Betrachter die Geheimnisse der Kolyma leicht durchschauen. Man kann diese Zahlen der Kolyma als Wahrheit nehmen, und diese Zahlen lauteten so:
1) Sandgewinnung in den Gruben mit Karrenförderung per Hand
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