Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
meiner Arbeit ab und stellten sich neben mich, während ich die Leerwagen anderer Brigaden vorbeiließ.
»Wo ist denn der Höhenkompensator?«, sagte in feinem Tenor der Bergwerkschef.
»Hier braucht man ihn nicht«, sagte Brashnikow. Der Bergwerkschef war Mitarbeiter des NKWD und eignete sich den Bergbauberuf am Abend an.
»Der Brigadier will ja keinen Mann hergeben, soll ihn doch, sagt er, die Brigade der
dochodjagi
stellen. Auch Wenka Byk will nicht. Der Anhaker, sagt er – das ist nicht meine Sache auf einer solchen Förderbrücke. Wer kann eine Schubkarre nicht zwei Meter hochschieben über eine sanfte Steigung? Ein Volksfeind, ein Verbrecher.«
»Ja«, sagte Anissimow, »ja!«
»Er fällt ja mit Absicht vor unseren Augen. Ein Höhenkompensator ist hier nicht nötig.«
Höhenkompensator nannte man einen Anhaker, einen zusätzlichen Arbeiter, der an den Steigungen zum Trichter die Schubkarre vorn an einem speziellen Haken befestigte und half, die kostbare Ladung auf die Förderbrücke zu ziehen. Diese Haken machte man aus Bohrlöffelchen von einem Meter Länge, der Löffel wurde in der Schmiede platt geschlagen, gebogen und zum Haken geformt.
Unser Brigadier wollte keinen Mann stellen, um den fremden Brigaden zu helfen.
Ich konnte in die Grube zurückkehren.
Der Schubkarrenschieber muss die Schubkarre spüren, den Schwerpunkt der Schubkarre, ihr Rad, die Radachse, die Richtung des Rades. Das Rad sieht ja der Karrenschieber nicht – weder unterwegs, mit der Ladung, noch zurück. Er muss das Rad spüren. Bei den Schubkarrenrädern gibt es zwei Typen, eines mit schmalem Reifenprofil und größerem Durchmesser, das andere mit einem breiteren Profil. In voller Entsprechung mit den Gesetzen der Physik läuft das erste leichter, dafür ist das zweite stabiler.
In das Rad wird ein Achsennagel gesteckt, mit Teer, mit Solidol, mit Radfett geschmiert und fest in die Öffnung am Boden der Schubkarre gesteckt. Die Schubkarre muss akkurat geschmiert sein.
Gewöhnlich stehen Fässer mit diesem Schmiermittel an den Werkzeugkammern.
Wie viele Hunderttausende Schubkarren gingen zu Bruch in einer Goldsaison an der Kolyma? Es gibt Angaben über Zehntausende allein für eine sehr kleine Verwaltung.
In der Transportverwaltung, wo kein Gold gewonnen wird, benutzt man dieselben Schubkarren, große und kleine. Stein ist überall Stein. Ein Kubikmeter überall ein Kubikmeter. Der Hunger überall Hunger.
Die Trasse selbst ist eine Art zentraler Steg des Goldreviers an der Kolyma. Seitlich gehen von der Trasse Abzweige ab – die steinernen Abzweige der Straßen mit zweiseitigem Verkehr – auf der zentralen Trasse läuft der Verkehr auf acht Spuren, die die Bergwerke und Minen mit der Trasse verbinden.
Die Trasse bis Nera ist in direkter Richtung eintausendzweihundert Kilometer lang, und mit der Straße nach Deljankir-Kula – Richtung Tenka – sogar mehr als zweitausend Kilometer.
Aber während des Krieges kamen Bulldozer auf die Trasse. Und schon vorher die Bagger.
1938 gab es keine Bagger.
Sechshundert Kilometer Trasse bis hinter Jagodnyj waren noch im Bau, die Straßen zu den Bergwerken der Südlichen und Nördlichen Verwaltung waren bereits gebaut. Die Kolyma brachte schon Gold, die Leitung bekam schon Orden.
All diese Millliarden Kubikmeter gesprengter Felsen, all diese Straßen, Auffahrten und Wege, der Bau von Waschvorrichtungen, die Errichtung von Siedlungen und Friedhöfen – all das wurde von Hand geschaffen, mit Schubkarre und Hacke.
<1972>
Der Schierling
Die Verabredung war so: Wenn es zum Abtransport ins Sonderlager »Berlag« kommt, bringen sich alle drei um, in diese Nummern-Welt fahren sie nicht.
Der gewöhnliche Fehler im Lager. Jeder Lagerinsasse klammert sich an einen verlebten Tag, er denkt, dass es irgendwo außerhalb seiner Welt noch schlechtere Orte gibt als den, an dem er die Nacht verbracht hat. Und das ist richtig. Solche Orte gibt es, und die Gefahr, dorthin verlegt zu werden, schwebt immer über dem Häftling, kein einziger Lagerinsasse ist bestrebt, irgendwohin wegzufahren. Selbst die Frühlingswinde bringen nicht den Wunsch nach Veränderung. Veränderungen sind immer gefährlich. Das ist eine der wichtigen Lektionen, die der Mensch im Lager lernt.
An Veränderungen glaubt, wer noch nicht im Lager war. Das Lager ist gegen alle Veränderungen. So schlecht es hier auch ist – dort um die Ecke kann es noch schlechter sein.
Darum wurde beschlossen, im entscheidenden Augenblick zu
Weitere Kostenlose Bücher